Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Beruhigen wurde bald zu einem kräftigen, gleichmäßigen Streichen über die Haare des sie umklammernden Kinds und der mit sanfter Stimme wieder und wieder vorgebrachten Beteuerung, dass es bestimmt nicht sterben müsse an dieser rätselhaften Verwundung – und im Wechsel mit dieser Beteuerung wieder und wieder die Verkündigung, dass das Mädchen nun zur Frau geworden sei.
Und die Mutter versuchte, dieser Botschaft einen freudigen Ton zu geben. Doch presste sie ihr Kind an sich, als wolle sie es vor mehr schützen als nur seiner unwissenden Angst. Und hätte die Tochter ihren Kopf nicht in der Schulter der Mutter vergraben gehabt, dann hätte sie vielleicht Grund zu neuer, anderer Sorge gefunden. Denn dann hätte sie sehen können, dass mehr als nur die Aufregung des Moments und die Freude die Stimme der Mutter zittern ließ bei der stetig wiederholten Bekundung, das Mädchen sei jetzt eine Frau. Nämlich dass im Gesicht der Mutter bei diesem Satz ein schmerzhafter Blick war, wie von einem Wissen, dass dies kaum weniger schlimm sein möge, als sterben zu müssen.
Durch den Schleier ihrer Tränen sah die Frau den Jungen aus der Scheune zurückkehren, und auch diesmal schleppte er etwas Unhandliches. Aber was er da herbeischleifte, waren keine Werkzeuge, sondern ein klobig-kantiger, grau verwitterter Balken, etwas über mannslang und so dick wie ein kräftiger Oberschenkel.
Er wuchtete ihn inmitten des Kreises, den die Laternen mit ihrem Schein zogen, und ließ ihn mit dem knochigenHallen trockenen Holzes neben dem Körper des dort liegenden Mannes auf den Boden fallen.
Der Mann öffnete mit Anstrengung sein nur halb verschwollenes Auge und versuchte mit der trunkenen Konzentration eines eben aus dem Schlaf Geschreckten zu ergründen, was da neben ihm plötzlich aufgetaucht und bis in sein tief in Schmerz und Benommenheit versunkenes Bewusstsein vorgedrungen war. Aber sein Geist schien von dieser Aufgabe überfordert.
Zumal da schon wieder neue Phänomene in seinen Gesichtskreis traten, die er nicht recht zu begreifen wusste. Es waren die Stiefel des Bärtigen und die bloßen Füße des kleinen Buben.
Die beiden packten den Mann an den Schultern und drehten ihn – was ihm einen dumpfen Schmerzensschrei entlockte – auf den Rücken.
In ihrem fünfzehnten Jahr saß sie, als sie an den ersten Sonnentagen zur vereinbarten Wiese zurückkehrte, meist nur noch abseits und schaute mit ihrer ersten Ahnung von Wehmut dem Tollen der anderen zu. Und merkte mit Erschrecken, dass inzwischen die meisten der dort versammelten Kinder noch gar nicht geboren waren, als sie zum ersten Mal ihre tapsigen Schritte hier gemacht hatte. Und als sie eines Tages so in den wärmenden Nachmittagsstrahlen auf einem Baumstamm saß und gedankenverloren einen Grashalm zwischen den Fingern zerrebelte, da stand plötzlich einer vor ihr und fragte, ob man sich neben sie setzen dürfe. Sie schaute hinauf, wer ihr da wohl in der Sonne stehe, und musste etwas blinzeln, weil selbige immer wieder hinter seinem ungebändigten Haar hervor in ihre Augen stach. Sie hob die rechte Hand an die Braue, um das fremde Gesicht aus dem Schatten des Gegenlichts zu lösen. Und da erkannte sie, dass dieses Gesicht, dieses geduldig aufAntwort wartende, spöttisch höfliche Grinsen, diese grünen Augen ihr gar nicht fremd waren, sondern dass sie sie nur zuletzt, vor langer Zeit, nicht an einem so stattlich aufgeschossenen Burschen mit solch netten Manieren – mögen die vielleicht auch nur als Flachserei gemeint sein – wahrgenommen hatte. Sondern an einem Bengel mit zerrissenen Hosen und von einer heftigen, aber siegreichen Balgerei zerkratzten Wangen.
Es war der Bruder einer Spielkameradin, die drei, vier Jahre jünger war als das Mädchen auf dem Baumstamm. Der Bruder aber war um etwa ebenso viel älter, und so hatte sie ihn nur am Rande kennengelernt, als einen aus jener Horde lärmender, ruppiger Gesellen, die sich mit kleinen Gören wie ihr nicht abgaben. Und da er älter und ein Mann war, hatten ihn die heimischen Pflichten schon länger aus dem Kreis der Spielenden entführt. An diesem Sonntagnachmittag aber hatte er offenbar einmal freie Zeit und nutzte diese, um nach seiner kleinen Schwester zu schauen, die auf der Wiese tollte. Und stand nun also – schon längst zu reif und alt, um an den Spielen selbst noch teilzunehmen – vor der jungen Frau und wartete auf Antwort.
Und diese fühlte zum ersten Mal wirklich, dass aus ihr inzwischen etwas anderes
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