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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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geschafft werden – nur die Gewalt würde ihnen die Gewalt wieder reinwaschen. Es gab keinen besseren Beweis, dass der nicht wie ein echter Mensch zu behandeln war, als dass man ihn nicht wie einen Menschen behandelte.
    Der junge Bursche, in dem es so brodelte, dass sein Gesicht rot geworden war und er keuchte, fand schließlich das Ventil, das ihrem Hass den Ausstrom öffnete.
    Er spuckte dem am Boden Liegenden auf den Kopf.
    Eine Sekunde lang sahen alle dem zähen Speichel zu, wie er – sich mit einem Blutrinnsal vereinigend, in der frischen Frühlingsnachtluft sanft dampfend – von der Schläfe über den Wangenknochen hinab zum Nasenflügel seinen Weg bahnte.
    Dann hob der Bärtige als Erster den Dreschflegel und holte aus.
    »So eine könnten mir schon brauchen.«
    Dieses Urteil ließ die Frau des Schusters – nach fast sicher geglaubter Enttäuschung und atemlosem Bangen – ihren Mann vor neu aufkeimender Hoffnung so heftig am Arm packen, dass das kleine Mädchen von dem Ruck erschreckt fast wieder zu weinen begonnen hätte.
    Der Mann, welcher das Kind in Augenschein genommen hatte, wandte sich ihr mit einem Gesichtsausdruck zu, der bedeutete: ›Nicht so voreilig.‹
    »Mir sind net viele hier oben«, begann er zu erklären. »Und so soll’s auch bleiben. Ich hab’s Tal hier gefunden. Ich hab’s erste Haus ’baut, mit meine eigene Händ. Und ich hab die ausg’sucht, die als Erste mit mir hier ’nauf ham dürfen. Tüchtige Leut, grade Leut. Leut, die horchen auf des, was i sag. Kurz g’sagt: Des is mei Tal.«
    Die Umstehenden bestätigten die Worte des Mannes mit jenem Kopfnicken, mit dem man die unabänderlichen und nicht immer freudigen Wahrheiten anerkennt: ein stummes ›Wohl wahr‹, wie es auf Feststellungen wie ›Alle müssen einmal sterben‹ antwortet.
    Der Mann ließ seinen Worten Zeit zu wirken, bis er sicher war, dass der Schuster und seine Familie ihr Gewicht spürten.
    »Ich bin der Brenner Bauer«, fuhr er schließlich fort.
    »Wer hier oben lebt, g’hört mir. Dafür hat er reich’s Land, und er hat Schutz vor dene da unten. Den Schutz garantier’ i.«
    Der Brenner schien zu überlegen, wie er das Folgende am besten sagen sollte.
    »Ihr könntets bleiben, wenn ihr wollt’s«, sprach er ins vor Hoffnung aufleuchtende Gesicht des Schusters. »Mir brauchat’n wieder a bisserl frisch’s Blut.«
    Die Frau umarmte den Schuster.
    Der Brenner hob Einhalt gebietend die Hand.
    »Aber mir ham Regeln hier. Wer die net einhalt, der geht.«
    Der Schuster setzte an zu versichern, dass keine Regel der Welt ihm unerträglicher scheinen könne als der Hungertod.
    Wieder gebot ihm der Brenner Schweigen. Aber auch selbst legte er sich erst noch einmal die folgenden Worte zurecht. Er kam offenbar zu einem entscheidenden Punkt.
    Er zeigte auf das kleine Mädchen.
    Und dann erklärte er den Eltern, wie das hier im Tal war mit den jungen Frauen. Und er verlangte von ihnen – wollten sie bleiben – ein Versprechen.
    Und sie waren stumm, und dann diskutierten sie und haderten, und strichen ihrem Kind, das nicht verstand, wovon da geredet wurde, immer wieder übers Haar und herzten es.
    Und sie überlegten lang, was es hieße, wenn sie blieben. Und sie überlegten lang, was es hieße, wenn sie wieder gingen. Und was dies hieße, das kannten sie besser.
    Und dann weinten sie, und herzten aufs Neue das Kind.
    Und gaben das Versprechen.
    Und blieben.
    Drei Mal war ein Dreschflegel auf den am Boden liegenden Mann herabgefahren, drei Mal hatte das harte Holz seine krachendeVerwüstung angerichtet. Eine Rippe hatte man splittern hören, der rechte Unterschenkel hing in unnatürlichem Winkel an einem zertrümmerten Knie, nur der Streich des jungen Burschen war misslungen und hatte lediglich einen Oberarm gestreift, was einen Schrei des Gemarterten hervorgerufen, aber anscheinend keine Knochen gebrochen hatte.
    Der Bärtige hob gerade seinen Dreschflegel, um die zweite Runde der Hiebe einzuleiten.
    »Halt«, rief da Breiser mit keinen Widerspruch duldender Stimme und hob die Hand.
    Die Frau, die sich innerlich schon auf das Unausweichliche vorbereitet hatte, schaute ihn entgeistert an.
    »Ihr bringt’s ihn um!« mahnte der Priester die Männer, die tatsächlich innegehalten hatten und ihn ebenfalls fragend musterten.
    Die Frau wie die Männer verstanden, dass Breisers Worten eigentlich der Zusatz ›zu schnell‹ fehlte.
    Der Gottesmann sann nicht auf ein Ende der Strafe. Er sann auf deren Ausdehnung.
    Es

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