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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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herrschte im Tal nie ein Mangel an anderen Kindern, und so fehlte es dem Mädchen auch nie an willigen Spielgefährten. Wann immer nicht Wind und Wetter sie in den Häusern hielten, fand sich auf den Wiesen an den Rändern des Dorfs fast täglich eine Gruppe von Kindern allen Alters ein. Schule gab es keine, alles, was man hier oben zum Leben wissen musste, lernte man in der Praxis. Die Spiele, die man spielte, waren einfach und oft rauh, denn als Spielzeug gab es nichts als die eigenen, von Bewegungsdrang und Erfahrungshunger vollen Körper und was immer ihnen die Natur darbot. Die Trophäen eines gelungenen Tages waren Schrammen und Schorf, zerschundene Knie und blaue Flecken.
    Es gab auch Kinder, die waren unbeholfen in ihren Bewegungen, schwer von Begriff, und sie lachten viel und ohne Grund, mit weit offenem Mund und den Atem einund aussaugend, dass das Lachen eher klang wie ein heiseres Hecheln. Man behandelte sie wie die ganz Kleinen, gab ihnen Rollen im Spiel, die sie auszufüllen in der Lage waren. Wenn sie die Regeln verletzten oder das Spiel störten, dann verjagte man sie manchmal mit einer Tracht Prügel. Aber kurze Zeit später kamen sie wieder lachend und polternd angelaufen, als wäre nichts gewesen. Auch stellten die anderen Kinder fest, dass man mit ihnen allerlei erkundende Dinge anstellen konnte, die man selbst als demütigend oder böswillig empfunden hätte – die diese seltsamen Geschöpfe aber, begeistert über die Aufmerksamkeit aller, welche sie dabei auf sich zogen, nur mit weiterem Hechellachen quittierten.
    Es war bei einem dieser Spiele, dass das Mädchen zum ersten Mal erfuhr, dass Jungen von Gott anders geformt waren als sie selbst. Sie dachte sich nicht viel dabei.
    Nachdem Breiser sich mit einem Blick vergewissert hatte, dass die Frau noch immer sicher im eisernen Griff des einen Burschen gefangen saß, verließ er seinen Posten neben ihr und begab sich zu den anderen Männern in die Kuppel des Laternenscheins, in deren Mitte sich das blutige Bündel Mensch in seinen Schmerzen wand.
    Er sprach auf den Jungen ein, der die Dreschflegel geholt hatte, und zeigte dabei mehrmals fragend in Richtung auf die Scheune, aus der jene Werkzeuge stammten. Dann wandte er sich an den Hünen, der das Anliegen des Priesters mit einem knappen Nicken beschied.
    Als die anderen das Vorhaben begriffen, machte sich ein teuflisches Grinsen auf allen Gesichtern breit.
    Der Junge lief zurück in die Scheune, um seinen Auftrag auszuführen.
    Die Frau weinte stumm.
    Es kam für das Mädchen die Zeit, da es sich an der Schwelle zu etwas Ungreifbarem, Unnennbarem spürte. Und eines Spätsommers ahnte es, dass es im nächsten Frühjahr – wenn die vielen Tage vorüber waren, an denen Regen, Schnee und Dunkelheit die Treffen der Gruppe selten und kurz machten – nicht als dieselbe, nicht mehr ganz als eine von ihnen zu der Gemeinschaft der Kinder zurückkehren würde.
    In der Tat wachte sie – sie war kaum dreizehn – eines sonnenverborgenen Wintermorgens auf und fühlte etwas Feuchtes auf ihren Schenkeln und ihrem Nachthemd und fürchtete zunächst, wie seit Jahren nicht mehr ins Bett gemacht zu haben. Und spürte aber, dass das Feuchte klebriger war, und als sie ängstlich die Daunendecke zurückschlug, da traf sie nicht nur die eisige Luft wie ein Schlag – da sah sie im dämmrigen Licht, dass der Fleck auf ihrem Nachthemd ganz dunkel war, und sie schob in hastiger Furcht das Nachthemd nach oben und entdeckte das Blut auf ihren Schenkeln. Für den Bruchteil einer Sekunde hielt ein Gefühl von Scham, hielt der Gedanke, die Strafe für ein unbekanntes Vergehen zu erleben, sie zurück und ließ ihre Wangen heiß werden auf dem bleichen Gesicht. Doch dann gewann die Angst sterben zu müssen die Oberhand, und das Mädchen schrie nach seiner Mutter, die am anderen Ende der Kammer noch im Schlaf lag.
    Die Mutter schreckte auf, ihr nächtlicher Nebel der Benommenheit wurde von den Hilferufen des Kindes augenblicklich fortgeblasen, und sie eilte zum Bett der Tochter. Schnell hatte sie erfasst, was geschehen war, und sie nahm das Kind in den Arm, drückte es fest an sich und versicherte ihm wieder und wieder, dass es nicht sterben müsse – dass das,was da vor sich ging, ganz natürlich und der Fluch jeder Frau für viele, viele ihrer Lebensjahre sei. Und so versuchte sie, das Mädchen so weit zu beruhigen, dass sie ihm helfen konnte, sich zu säubern, und ihm einige nötige Dinge zeigen und erklären.
    Und dieses

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