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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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Belauschten zurechtreimen konnte. Doch eins stand ihr unmittelbar vor Augen, wann immer sie sich in diese Vergangenheit zurückwagte: Es war das Gesicht eines Mannes, und die Berührung durch seine Hand.
    Wären die Kanten des Gesichts nicht derart scharf und nahezu viereckig gezogen gewesen, hätte daraus nicht ebenso die spitze Raubvogelschärfe einer knochigen Nase geragt, dann wäre in ihrem Gedächtnis alles an diesem Antlitz so ins Ungefähre verlaufen wie der Rest des Körpers, wie die nur von wenigen weißen Strähnen durchzogenen Haare, die streng nach hinten aus der rechtwinkligen Stirn gekämmt waren. Dann hätte da, wie in einem gekrümmten Spiegel, nur ein Fokus übergroß vor allem gestanden: die zwei schwarzen Perlen der Augen, die das Mädchen prüfend anblickten, als könnten sie ihm bis ins Mark schauen.
    Eine sehr eigene Freundlichkeit sprach aus diesen Augen: die Sympathie von einem, dem gefällt, was er begutachtet – von einem Einkäufer, der gute Ware wittert. Es war eine Milde, welcher selbst das kleine Mädchen anspürte, dass sie keinerlei Interesse kannte für die Gefühle des begutachteten Menschleins – dass sie sofort und vollständig entzogen würde,sollte dieses Menschlein die Unverschämtheit besitzen, irgendeinen Mangel aufzuweisen.
    Aber das Mädchen hatte der ersten, oberflächlichen Prüfung standgehalten, anstatt sich weinend abzuwenden und ihr Gesichtlein in der Schulter ihres Vaters zu vergraben. Weil sie instinktiv das Wesen dieser prekären Sympathie begriffen hatte und es ihr insgeheimer Wunsch war, diese nicht zu verlieren. Weil sie gefallen wollte und bestehen. Weil irgendein dunkler Teil ihres kaum halb geformten Geistes mehr nach dieser erbarmungslosen, absolutistischen Anerkennung gierte als nach der nur als bedingungslos bekannten Liebe der Eltern.
    So schreckte und weinte das Kind auch nicht, als die Hand des Mannes es berührte. Knorrig und behaart, von ledriger Haut, fasste diese es an, ohne Zimperlichkeit, aber genauso ohne jede Grobheit. Mit einem ganz genauen, geübten Gefühl dafür, wie fest sie nun einmal greifen und kneifen musste, um zu ertasten, was ihr wichtig war, jede unnütze Härte meidend.
    Die erste Berührung war wie ein Streicheln über den Kopf, aber schon sie erkundete vor allem, von welcher Beschaffenheit der helle Schopf des Kindes war. Dann drehte sie das Köpfchen in derselben Bewegung leicht zur Seite, um in die Öffnung der Ohren lugen zu können. Ein Kniff in die Backen, ein Aufspreizen der kleinen Lippen, Hineintasten prüfte, wie es um Festigkeit und Temperatur des Fleischs, wie um den Wuchs der ersten Zähne bestellt war. Die Muskeln der nun ihrerseits nach dieser komischen, großen, fremden Hand haschenden Ärmchen wurden begutachtet, Brust und Bauch leicht abgeklopft.
    Nach all dem hatten die schwarzen Augen ihr Wohlwollen noch immer nicht verloren. Was er gesehen und gefühlt hatte, schien dem Mann zu gefallen. Schüchtern, mit tastenderMimik probierte das kleine Mädchen, ob dieses Gesicht wohl ein Lächeln erwidern würde.
    Die Männer wogen das Gewicht ihrer neu erlangten Marterwerkzeuge federnd in den Händen. Sie umtänzelten regelrecht den am Boden Liegenden, der durch die vorangegangenen Misshandlungen noch zu tief in Benommenheit steckte, um schon begriffen zu haben, was ihm da drohte. Nur der Bub hatte beleidigt einsehen müssen, dass er so einen großen Dreschflegel noch nicht bedienen konnte – und so begnügte er sich, immerhin halb zufrieden, mit dem Posten des eifrigen Zuschauers.
    Die Dreschflegel waren eine wirklich ernste Sache, das wussten und spürten auch die Peiniger, und eine Weile lang zögerten sie, weil keiner sich traute, den ersten, verheerenden Streich zu tun.
    Aber dass sie ihrer barbarischen Allmacht plötzlich eine mögliche Grenze, eine innere, gesetzt sahen, das erzürnte sie. Hatten sie doch bisher bewiesen, dass sie dem am Boden antun konnten, was immer sie wollten. Und nun hatte der – vielleicht gerade, weil er sie nicht durch Flehen und Bitten herausfordern konnte – trotzdem etwas an sich, das ihnen Hemmungen auferlegte. Das sie ihn als Mensch, als verwandtes Wesen erkennen ließ, welches nicht einfach fühllos vernichtet werden konnte. Etwas, dessen Leiden ihnen plötzlich teilbar und heilig erschien, und das damit drohte, sie selbst ihre bisherigen Taten als viehisch sehen zu lassen.
    Es kochte in ihnen der Hass hoch auf dieses Moment der Nähe. Es musste ausgelöscht, aus der Welt

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