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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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zu leise waren, als dass die herandonnernden Verfolger sie wahrnehmen würden. Als sich vor ihnen ein massiver Umriss aus der mondbeschienenen Dunkelheit schälte, war deshalb schnell, mit ein paar wortlosen Gesten, ein Plan gefasst: Sie würden sich in der Mühle verstecken, bis ihre Jäger ahnungslos vorbeigeprescht waren, und dann versuchen, sich auf entlegeneren Wegen irgendwie aus dem Tal zu schleichen.
    Zum Glück fanden sie das Tor unversperrt. Sie führten ihr Pferd in den kahlen, kühlen Raum, in dessen Mitte der steinerne Rundlauf des Mühlsteins ruhte, und es schien ihnen,dass sie kaum die großen Flügel des Einlasses wieder hinter sich geschlossen hatten, als sie schon draußen die Reiter ankommen hörten. Sie wagten es nicht einmal, durch die Ritzen der unebenen Türbretter zu lugen. Sie drängten sich an die Wand, klammerten sich aneinander und versuchten, das Tier ruhig zu halten, indem sie ihm von der überall verstreuten Spreu zu fressen gaben.
    Ihnen war, als trauten sie sich erst Minuten, nachdem draußen die Hufschläge verklungen waren, wieder zu atmen. Dann aber wurden sie gewahr, wie eng aneinandergeschlungen sie dastanden. Und wie schwer ihr Atem ging. Und es war, als würde die ganze Situation, als würde alles, was sie hinter sich gebracht hatten und was vor ihnen lag, sie auf einmal überfallen.
    Der Kuss, in dem sich ihre Lippen fanden, hatte nichts Zärtliches. Er war wie das hungrige Schnappen von Raubtieren, war ein lebensgieriges Beißen und Saugen, das bald ihre Münder an die Kehlen, an die Schultern und Brust des anderen führte. Sie zerrten und rissen an ihrer Kleidung, der Mann packte die Handgelenke der Frau und rang sie nieder auf die getreideübersäte Erde, sie wand sich frei und grub ihre Nägel in seine Haut. Es war ein Keuchen, Stöhnen und eifriges Wimmern zwischen ihnen, und dann endlich fanden sie sich, fanden sie die Vereinigung, auf die sie so lange gewartet, die sie sich so lange versagt hatten.
    Aber wie sie da erhitzt und schwellend ineinanderstießen, das war kein Akt der Liebe. Das war ein verzweifeltes, zorniges, animalisches Besitzergreifen – eine Rückeroberung.
    Es war ein verstandesloses Auslöschen der nicht gestellten Frage und der möglichen gefürchteten Antwort. Es war ein Ausrotten der bösen Saat des Zweifels.
    Sie hatte gehört, wie der Huf ihres Pferdes den Schmied getroffen hatte, und sie hatte – selbst überrascht vom unerwartet vollen Erfolg ihres überstürzt improvisierten Plans – erlebt, wie der Stiefel den Priester so schwer mitten ins Gesicht getroffen hatte, dass es ihr den Schuh aus der Hand und sie fast selbst vom Pferd riss. Und sie hatte im Vorbeireiten noch gesehen, wie es Breiser daraufhin in einem derart perfekten Bogen aus dem Sattel hob, dass es unter anderen Umständen hochgradig komisch gewesen wäre, und wie er reglos wurde, noch bevor er auf dem Boden aufschlug.
    Zudem war sie sich sicher, dass es Minuten dauern würde, bis die beiden Reiter auf der Brücke ihre Pferde gewendet, vom Balken losgebunden und den Weg für sie frei gemacht hatten, selbst wenn sie sich nicht um ihre verletzten und gestürzten Brüder und Kumpane kümmern würden.
    Dies waren die Minuten, die ihr blieben.
    Sie klammerte sich fest an den Hals des Pferdes und schlug ihm ihre Hacken in die Flanken. Und sie brüllte ihm zusammenhanglose Worte des Ansporns in die Ohren. Der Pfad war kaum zu sehen in der Dunkelheit, jede Unebenheit konnte den Tod bedeuten. Sie trieb und trieb wie eine Wahnsinnige das Ross an und hoffte blindlings, dass die schiere Angst sie beide über alle Fallen tragen würde.
    Die Zärtlichkeit kam später, nachdem sie sich keuchend, erschöpft und halb nackt aufeinanderliegend wiederfanden und ihre Sinne zu ihnen zurückkehrten wie nach einem Rausch, der mit brodelndem Blut in die Köpfe gefahren war. Sie blieben an- und ineinandergeschmiegt liegen, streichelnd, flüsternd, hin und wieder still weinend, bis das silbrig weiße Mondlicht dem nüchternen Grau des sich ankündigenden Sonnenaufgangs wich. Dann wussten sie, dass es an der Zeit war, ihr Lager aufzugeben, bevor der Müller sie finden würde.
    Sie brachten ihre Kleidung wieder in Ordnung, fröstelnd in der Morgenkälte. Vorsichtig stieß das Paar das Tor der Mühle auf, spähte nach beiden Seiten den Weg entlang nach Verfolgern. Dann eilten sie über die Brücke des Mühlbachs zum Rand des Waldes. Sie schlugen sich tief genug zwischen die Bäume, dass man sie von den

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