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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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Wiesen und Feldern aus nicht mehr leicht entdecken konnte, dass sie selbst aber noch in den Talkessel hineinspähen konnten. Anfangs geleiteten sie noch das Pferd an den Zügeln mit sich, doch in dem dichten Gehölz behinderte es ihr Vorankommen, und nach einer Weile beschlossen sie, bräuchten sie noch einmal ein Ross, dass sie es anderweitig finden würden, und sie gaben dem Tier die Freiheit. Sie hätten es eigentlich tiefer in den Wald führen und dort anbinden müssen, aber das brachte der Mann nicht übers Herz. Und so hofften sie einfach, dass, bis die Brennerschen das Pferd fanden, es keinen Aufschluss über ihren Aufenthalt mehr erlauben würde.
    Das matte Grau der Morgenahnung wich langsam den glühenderen Farben der heraufkriechenden Sonne, und zwischen den Bäumen kamen nach und nach die ersten Anwesen an den Ausläufern des Dorfs in den Blick. Es wäre das Naheliegendste gewesen, sich zu einer der Familien des Paars zu schleichen, dort eine Weile Versteck und Verpflegung zu finden und sich dann in einem günstigen Moment vollends aus dem Tal zu stehlen. Aber gerade weil es so naheliegend war, wäre man dabei mit Sicherheit in die Arme der Verfolger gelaufen.
    Doch an wen sollte man sich sonst wenden? Im Freien konnte man auf Dauer nicht bleiben, da es den Brennerschen ein Leichtes sein würde, die Wegschneise aus dem Hochtal über Tage hinweg ununterbrochen zu bewachen. Wem aber hier oben war sein Platz in der Gemeinschaft nicht wichtiger als das Schicksal zweier, die sich meinten auflehnen zu müssengegen die altgewohnte Ordnung? Wer, in dessen eigener Familie man – sei’s klaglos, sei’s zähneknirschend – das vom Brenner geforderte Opfer einst gebracht hatte, würde seine Zukunft aufs Spiel setzen für zwei, die ihr Glück über das Gesetz erhoben?
    Der Mann zog aus seiner Tasche einen Lederbeutel, dessen Inhalt er einmal leise aufscheppern ließ. Es war jener kleine, vorausschauend mitgeführte Schatz, der ihnen erlauben sollte, nach gelungener Flucht unten in der Ebene eine Existenz aufzubauen.
    »I weiß, wer uns helfen werd«, sagte der Mann. Und er nahm seine Frau bei der Hand und führte sie, verborgen am Rand des Waldes, weiter in Richtung auf das Dorf zu.
    Sie war über die Wiesen und Felder geprescht, wo sich das Tal in seiner Mitte bauchig weitete und ebener wurde, und sie war immerhin ein wenig zu Atem gekommen, da sie hier nicht jeden unsicheren Tritt mit einer Wurzel, einem tief hängenden Ast, mit einer unvorhergesehenen Wendung des Wegs rechnen musste.
    Ihr Blick reichte nun schon bis zu den ersten, einsamen Höfen, die als Außenposten des Dorfs erschienen. Sie zwang sich, diese vagen Vorboten der Hoffnung zu fixieren, und gestattete sich nur etwa jede Minute – ein Abstand, der ihr wie Stunden erschien – ein angstvolles Umschauen. Doch noch war von den Verfolgern nichts auszumachen, obwohl sie glaubte, hinter sich Hufdonner heraufziehen zu hören. Aber ob das wahrhaft so war oder ein Angsttraum ihrer Einbildung, das war schwer zu sagen angesichts des in den Ohren dröhnenden Hämmerns ihres Pulses.
    Sie würde – das hatte sie so kühl beschlossen, wie ihr panischer Verstand zuließ – links am Dorf vorbeireiten. Sie war sich sicher, dass dies der kürzere Weg zum Durchlass in dieEbene sein musste. Und sie redete sich ein, dass diese Entscheidung wirklich nichts damit zu tun hatte, dass sie so auch noch einmal einen Blick würde werfen können auf ihr Elternhaus.
    Aber je näher sie dem Dorf kam, desto stärker wurde die Versuchung, die Zügel doch nach rechts zu reißen. Weil es der Frau schien, es könnte leichter sein, das Haus der Eltern gar nicht mehr zu sehen, als seiner ansichtig zu werden und es doch verboten und unerreichbar zu wissen. Je näher dieser Moment rückte, desto unsicherer war sie, ob sie wirklich den Galopp würde durchhalten können, ohne die Eltern noch einmal zu umarmen, ohne ihnen Wiedersehen zu sagen – und vor allem sie zu warnen.
    Aber jeder Meter, jede Minute konnte darüber entscheiden, ob diese wahnsinnige Flucht gegen jede Wahrscheinlichkeit doch gelingen würde. Und so lenkte sie das Pferd, aus dessen Nüstern der Schaum flog, nach links, hieb ihm weiter die Hacken in die Flanken. Und machte ihr Herz hart gegen den bevorstehenden Anblick des Abschieds.
    Von Anfang an fühlte sie sich in dem Laden wie in einer Falle. Für einen Moment hatte sie erleichtert aufgeatmet, als sie gebückt hastend die freie Wiese zwischen Wald- und Dorfrand

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