Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
verkeilte.
Zunächst bemerkten die Männer auf den Pferden es nicht, doch zwei, drei Schrittlängen weiter spannten sich auf einmal die Leinen, die Gäule wieherten auf, und hinter sich hörten sie ein Knirschen und Knacken, das sie sofort ihre Tiere zum Stillstand bringen ließ.
Sie riefen dem Vorausreitenden zu, dass auch er anhalten solle, und wandten sich in ihren Sätteln um.
Der Schmied konnte sein Pferd gerade noch schnaubend zum Beidrehen bewegen, bevor es den ersten Huf auf die blockierte Brücke gesetzt hatte. Er drehte sich ebenfalls im Sattel seitwärts, um zu begutachten, was da vor ihm geschehen war.
Dazu lockerte er seinen Griff um die Frau.
Sie war schließlich, nach vielen Tränen und nutzlos in ihr kochendem Hass, doch in einen halben Dämmer gefallen, in dem schmalen Bett in der kleinen Seitenkammer, die man ihr zugewiesen hatte. Und für eine Weile dachte sie, dass die Geräusche aus einem Traum emporklangen, der sie lockend empfangen wollte. Es war ein leises, vorsichtiges Knirschen, und dazu in Abständen von drei, vier Herzschlägen etwas anderes, etwas wie das ferne Raunen eines kurz aufböenden Winds im Getreide, wie der Ruf eines klagenden Tiers im Wald. Was immer es war, bald war sie sicher, dass es wie das knochenweiße Mondlicht von draußen durch ihr Fenster drang. Und dann bekam das Raunen, Rufen Gestalt, wurdevom Laut zur Stimme und zum Wort. Und wie ein Schlag durchfuhr es sie, dass es ihr Name war.
In einer Bewegung hatte die Frau die Decke zurückgeschlagen, sich aus dem Bett geschwungen und war flink, aber leise die zwei kurzen Schritte zum Fenster geeilt. Sie presste sich daneben an die Wand, sodass sie durch die Scheiben spähen konnte, ohne von draußen leicht gesehen zu werden. Das Knirschen kam näher, und obwohl es kaum lauter war als ein Flüstern, dröhnte es ihr fast unerträglich in den Ohren. Und dann kam wieder das andere Flüstern, das Raunen, das ihr Namen war, und sie glaubte, die Stimme zu erkennen.
Und als sie, bestürmt von Hoffnung und Angst und Unglauben, kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, dastand und schließlich nichts Besseres wusste, als zum Verschluss des Fensters zu greifen, da tauchte im selben Moment in der Scheibe ein Geist auf, und sie musste sich in den Handrücken beißen, um nicht laut aufzuschreien: Denn weiß vom Mondlicht und wohl auch von der Furcht war da auf einmal das Gesicht ihres Mannes vor ihren Augen.
Und fast im selben Augenblick fand sein gehetzt suchender Blick ihre Gestalt, und auch er hätte beinahe laut ausgerufen.
»Ich hab’s net ausg’halten«, flüsterte ihr Mann, als sie die Fensterflügel aufgestoßen hatte und in seine Arme gefallen war, sie sich geküsst und geküsst und ihre auf einmal tränenfeuchten Wangen aneinandergepresst hatten.
Es war nicht die Vernunft, die die Frau nach einer endlosen Sekunde diese Umklammerung wieder lösen ließ, um in die Kammer zurückzuhuschen, Kleid und Schuhe überzustreifen und dann wieder in die Arme des Mannes zurückzukehren, um sich diesmal von ihnen hinausheben zu lassen in eine zweifelhafte Freiheit. Ihr Kopf wollte ihr durchaus Einhalt gebieten, so wie er ihr zuvor jeden eigenen Gedankenan Flucht untersagt hatte. Weil es nirgends gab, wohin man hier vor dem Einfluss des Brenner hätte fliehen können. Weil der Brenner sich diese Welt nach seinem Bilde geschaffen hatte, und schon immer sich fügte, wer in dieser Welt leben wollte.
Ihr Kopf wollte ihr befehlen, dem Mann noch einen Kuss zu geben, das Fenster wieder zwischen ihnen zu schließen, sich zurück ins Bett zu legen, die Ohren taub zu machen gegen seine Proteste und zu dulden, wie viele Tage hier zu dulden waren – um dann frei von Gefahr heimzukehren, alles Geschehene tief in ihrem Inneren zu vergraben und ihren Mann auf ewig noch umso mehr zu lieben für das, was er offensichtlich zu tun bereit gewesen wäre.
Aber dass er da stand, wider alle Gesetze dieser Welt, das hatte ihr mit einem Schlag für immer die Möglichkeit des Duldens zerstört. Das hatte ihre Wut entfacht – auf ihn und seine Unvernunft, auf sich selbst und ihre lämmergleiche Fügsamkeit, auf den Brenner und seine Gebote. Und es hatte ihr nur eine Entscheidung gelassen: aufzubegehren um ihrer Liebe willen, sie so absolut zu setzen, wie ihr Geliebter es tat, und ihren Platz in ihren Armen einzunehmen und um ihn zu kämpfen, auf Gedeih oder Verderb.
Sie weinte, als ihr Mann sie über den Fenstersims hievte und neben sich in die
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