Das Flammende Kreuz
warum niemand einen Gedanken an die Worte verschwendete, die die Kleinen mit der Muttermilch aufsogen. Die Melodien der Lieder waren für ihn nicht mehr als tonloser Gesang - vielleicht war das der Grund, warum er mehr als andere auf die Worte achtete.
Selbst Brianna, die aus einer Zeit stammte, die angeblich friedlicher war, sang dem kleinen Jemmy Lieder über Schrecken erregende Tode und tragische Verluste vor, und das alles mit dem zärtlichen Gesichtsausdruck einer Madonna mit dem Jesuskind. Dieser Text über die Köhlerstochter, die mit ihren Entlein ertrank...
Ihm kam der perverse Gedanke, was für Schreckenstaten wohl das Wiegenliederrepertoire der Mutter Gottes umfasst hatte; der Bibel nach zu urteilen, war das Heilige Land auch nicht friedlicher gewesen als Frankreich oder Schottland.
Er hätte sich zur Strafe für diesen Gedanken gern bekreuzigt, aber Claire lag auf seinem rechten Arm.
»Waren sie im Unrecht?«, ertönte Claires Stimme leise unter seinem Kinn, und er fuhr zusammen.
»Wer?« Er neigte ihr den Kopf zu und küsste ihre dichten, weichen Locken. Ihr Haar roch nach Holzrauch und dem scharfen, reinen Duft der Wacholderbeeren.
»Die Männer in Hillsborough.«
»Aye, ich denke schon.«
»Was hättest du getan?«
Er seufzte und zuckte mit einer Schulter.
»Kann ich das sagen? Aye, wenn ich der Betrogene wäre und es keine Hoffnung auf Wiedergutmachung gäbe, hätte ich vielleicht auch Hand an den Schuldigen gelegt. Aber was dort geschehen ist - du hast es ja gehört. Häuser niedergerissen und in Brand gesetzt, Männer auf die Straße gezerrt
und besinnungslos geprügelt, und das nur des Amtes wegen, das sie bekleideten... nein, Sassenach, ich kann nicht sagen, was ich getan hätte, aber das nicht.«
Sie wandte den Kopf ein wenig, so dass er ihren hohen, geschwungenen Wangenknochen sah, der vom Licht umrandet wurde, und die Bewegung des Muskels vor ihrem Ohr, als sie lächelte.
»Das habe ich auch nicht gedacht. In einem Pöbel kann ich mir dich nicht vorstellen.«
Er küsste ihr Ohr, um nicht direkt zu antworten. Er konnte sich nur zu leicht in einem Pöbel sehen. Das war es, was ihm Angst machte. Er wusste nur zu gut, wie machtvoll ein solches Phänomen war.
Ein einzelner Highlander war zwar ein Krieger, aber auch der mächtigste Mann war nur ein Mann. Der Wahnsinn, der Männer gemeinsam ergriff, das war es, was tausend Jahre lang die schottischen Täler regiert hatte; dieses Kribbeln im Blut, wenn die Schreie der Kameraden erklangen, wenn man spürte, wie man von der Kraft des Ganzen mitgerissen wurde, und man sich unsterblich fühlte - denn wenn man selber fiel, wurde man dennoch weiter getragen, schrie der Geist des Gefallenen aus den Mündern derer, die an seiner Seite liefen. Erst später, wenn das Blut kalt in erschlafften Adern lag und taube Ohren die Frauen weinen hörten...
»Und wenn es kein Mann war, der dich betrogen hat? Wenn es die Krone war oder das Gericht? Keine Person, meine ich, sondern eine Institution?«
Er wusste, worauf sie hinaus wollte. Er nahm sie fester in den Arm und spürte ihren warmen Atem auf den Knöcheln seiner Hand, die genau unter ihrem Kinn zusammengerollt war.
»Das ist es nicht. Nicht hier. Nicht jetzt.« Die Aufrührer hatten als Reaktion auf die Verbrechen von einzelnen Männern zugeschlagen, von Individuen; möglich, dass der Preis für diese Verbrechen mit Blut bezahlt werden würde, doch er würde keinen Krieg zur Folge haben - noch nicht.
»Nein«, sagte sie leise. »Aber es wird so kommen.«
»Nicht jetzt«, sagte er noch einmal.
Das Stück Papier war sicher in seiner Satteltasche versteckt, sein verhasster Ruf sorgsam verborgen. Er musste sich darum kümmern, und zwar bald, aber heute Nacht würde er so tun, als existierte es nicht. Eine letzte Nacht des Friedens in den Armen seiner Frau, umringt von seiner Familie.
Wieder ein Schatten am Feuer. Wieder ein Ruf des Wächters, und der nächste Mann passierte das Tor des Verrats.
»Und haben sie Unrecht?« Ein leichtes Rucken ihres Kopfes in Richtung des Zeltes unten am Bach. »Die, die jetzt ihre Bekannten anschwärzen?«
»Aye«, sagte er. »Sie haben auch Unrecht.«
Ein Pöbel mochte das Regiment übernehmen, doch es waren einzelne Männer, die den Preis dafür bezahlen würden. Ein Teil dieses Preises war der Bruch des Vertrauens, Nachbarn, die sich gegen ihre Nachbarn wandten,
ihre Angst eine Henkersschlinge, die sich zuzog, bis der letzte Atemhauch der Gnade und Milde
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