Das Flammende Kreuz
einem kleinen Kamm ausgekommen, den er erkannte.
Sie bahnten sich ihren Weg über den Grat und suchten nach einem Weg, der sie durch das Gewirr aus Esskastanien, Pappeln und Fichten sicher bergab führte. Die Kolonne war nicht weit entfernt, das wusste er, doch es würde einige Zeit dauern, wieder dazu zu stoßen, und er hätte sich ihnen gern angeschlossen, bevor sie Fraser’s Ridge erreichten. Nicht, dass Claire oder MacKenzie sie nicht leiten konnten, doch er musste zugeben, dass er gern selbst an der Spitze der Kolonne nach Fraser’s Ridge zurückgekehrt wäre und die Seinen nach Hause geführt hätte.
»Lieber Himmel, Mann, als ob du Moses wärst«, brummte er und schüttelte in gespielter Entrüstung über seinen eigenen Dünkel den Kopf.
Das Pferd war schaumbedeckt, und als jetzt die Bäume eine Lichtung freigaben, hielt er an, um eine Minute zu rasten - er ließ die Zügel locker, hielt sie aber noch so fest, dass das eigensinnige Tier nicht auf dumme Gedanken kommen konnte. Sie standen in einem Silberbirkenhain an der Kante eines kleinen Felsvorsprungs, hinter dem es zwölf Meter in die Tiefe ging. Er ging zwar davon aus, dass das Pferd viel zu sehr von sich eingenommen war, um einen Selbstmord in Betracht zu ziehen, hielt es aber für besser, vorsichtig zu sein, falls Gideon auf die Idee kam, seinen Reiter in die Lorbeersträucher am Fuß des Felsens zu schleudern.
Der Wind kam von Westen. Jamie hob das Kinn und genoss den kalten Hauch auf seiner erhitzten Haut. Das Land senkte sich in endlosen, braunen und grünen Wellen, zwischen denen hier und dort bunte Flecken aufflammten
und den Nebel in den Mulden erleuchteten, als sei er der Rauch eines Lagerfeuers. Er spürte, wie bei diesem Anblick Friede über ihn kam, und er atmete langsam, während sich sein Körper entspannte.
Auch Gideon entspannte sich, und alle Widerspenstigkeit sickerte langsam aus ihm heraus wie Wasser aus einem löcherigen Eimer. Behutsam ließ Jamie seine Hände auf den Hals des Pferdes sinken, und das Pferd blieb reglos mit aufgestellten Ohren stehen. Ah, dachte er, und allmählich kam ihm die Erkenntnis, dass dies ein besonderer Ort war.
Er konnte seine Gedanken über solche Orte nicht in Worte fassen, und er erkannte sie auch nur, wenn er unmittelbar dort stand. Er hätte die Stelle vielleicht heilig genannt, nur, dass die Atmosphäre solcher Orte nicht das Geringste mit der Kirche oder ihren Heiligen zu tun hatte. Es war einfach nur ein Ort, dem er sich zugehörig fühlte, das genügte, auch wenn er es vorzog, allein zu sein, wenn er einen solchen Ort fand. Er legte die Zügel lose auf den Pferdehals. Nicht einmal eine eigensinnige Kreatur wie Gideon würde hier Schwierigkeiten machen, dachte er.
Und wirklich, das Pferd stand still, und sein gewaltiger, dunkler Widerrist dampfte in der kühlen Luft. Sie konnten nicht lange verweilen, doch er war zutiefst dankbar für einen Augenblick der Erholung - nicht von seinem Kampf mit Gideon, sondern von den ständigen Ansprüchen der Leute.
Er hatte schon früh den Kunstgriff gelernt, in einer Menschenmenge Zurückgezogenheit zu finden, in Gedanken allein zu sein, wenn sein Körper es nicht sein konnte. Doch er war zum Bergbewohner geboren und hatte nicht minder früh die Magie des Alleinseins und die heilende Kraft stiller Orte erfahren.
Unvermittelt sah er in Gedanken seine Mutter vor sich, eines jener kleinen, lebensechten Portraits, die er in seinem Gedächtnis hütete, um sie bisweilen unerwartet als Reaktion auf die verschiedensten Eindrücke hervorzuholen - ein Geräusch, einen Geruch, einen Streich, den seine Erinnerung ihm spielte.
Damals hatte er auf einem Hügel Kaninchenschlingen ausgelegt, heiß und verschwitzt, seine Finger vom Ginster zerstochen und das Hemd von Schmutz und Feuchtigkeit verklebt. Er hatte einen kleinen Hain gesehen und hatte sich in seinen Schatten begeben. Seine Mutter saß dort im grünlichen Halbdunkel neben einer kleinen Quelle auf dem Boden. Sie saß völlig reglos da - was für sie ungewöhnlich war - und hatte die langen Hände auf dem Schoß gefaltet.
Sie hatte nichts gesagt, ihn aber angelächelt, und er war zu ihr gegangen, ebenfalls wortlos, aber von großem Frieden und von Ruhe erfüllt. Er hatte den Kopf an ihre Schulter gelehnt, hatte gespürt, wie ihr Arm ihn umfing und gewusst, dass er am Mittelpunkt der Welt stand. Er war vielleicht fünf oder sechs gewesen.
Genauso plötzlich, wie sie gekommen war, verschwand die Vision
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