Das Flammende Kreuz
unter den Lebenden weilt, doch Pflichtgefühl und Freundschaft zwingen mich, dir mitzuteilen, was ich über ihn herausgefunden habe. Es ist nicht viel; der Schurke scheint sich seines kriminellen Status bewusst zu sein und verhält sich bis jetzt äußerst unauffällig.
Jemmy trat um sich und brüllte. Wie in Trance bückte sie sich, ohne ihn loszulassen, und hob den Ring auf, die Augen fest auf den Brief gerichtet.
Ich hatte zunächst nicht viel von ihm gehört, abgesehen von einem Bericht, dass er nach Frankreich abgereist sei - eine gute Neuigkeit. Doch dann hatte ich vor zwei Wochen einen gewissen Kapitän Liston zu Gast (den jedermann nur der Höflichkeit halber »Kapitän« nennt; er behauptet zwar, im Dienst der Königlichen Marine zu stehen, aber ich wette ein Fass von meinem besten Tabak [von dem dir mit diesem Brief eine Probe zugeht - und wenn nicht, so würde ich es gern erfahren, da ich dem Sklaven, durch den ich ihn überbringen lasse, nicht recht traue], dass er niemals auch nur die Tinte auf einer Kommission gerochen hat, geschweige denn den Gestank des Kielwassers), der mir einen aktuelleren - und höchst bedenklichen - Bericht von Bonnet überbracht hat.
Als er vor einiger Zeit im Hafen von Charleston fest saß, so Liston, habe er sich mit einigen zweifelhaften Gesellen eingelassen, die ihn einluden, sie zu einem Hahnenkampf zu begleiten, der in einem Etablissement namens Devil’s Glass stattfand. Unter dem anwesenden Gesindel befand sich ein Mann, der durch die Qualität seiner Kleidung und durch seine Freigebigkeit auffiel - Liston hörte, wie jemand diesen Mann als Bonnet bezeichnete, und der Wirt erzählte ihm, dieser Bonnet habe sich als Schmuggler in den Outer Banks einen Namen gemacht, und er sei in den Küstenstädten North Carolinas bei den Händlern sehr gern gesehen - weniger gern allerdings bei den Autoritäten, die dem Mann hilflos gegenüber stünden, da die Städte Wilmington, Edenton und New Bern von seinem Gewerbe abhängig seien.
Liston achtete nicht weiter auf Bonnet (sagte er), bis es im Lauf der Hahnenkämpfe zu einer Auseinandersetzung über eine Wette kam. Es
wurden hitzige Worte gewechselt, und die Ehre der Beteiligten ließ sich nur durch ein Duell wieder herstellen. Die Zuschauer, die sich keine Gelegenheit entgehen ließen, begannen unverzüglich, auf den Ausgang des Männerwettstreites genauso zu wetten wie auf den des kämpfenden Geflügels.
Der eine Duellant war Bonnet, der andere ein gewisser Hauptmann Marsden, ein Armeehauptmann auf halbem Sold, der meinem Gast als guter Schwertkämpfer bekannt war. Dieser Marsden, der sich für den Beleidigten hielt, sagte, der Teufel solle Bonnets Augen holen und forderte den Schmuggler auf, ihm auf der Stelle Genugtuung zu erweisen, eine Offerte, die sofort angenommen wurde. Die Wetten favorisierten Marsden, dessen guter Ruf bekannt war, doch es wurde bald deutlich, dass er in Bonnet seinen Meister und mehr gefunden hatte. Innerhalb weniger Augenblicke gelang es Bonnet, seinen Gegner zu entwaffnen und ihn so schwer am Oberschenkel zu verletzen, dass Marsden auf die Knie sank und sich ergab - eine andere Wahl blieb ihm gar nicht. Bonnet akzeptierte seine Kapitulation jedoch nicht, sondern vollzog stattdessen einen Akt von solcher Grausamkeit, dass er einen unauslöschlichen Eindruck bei allen Anwesenden hinterließ. Nachdem er mit großer Kälte bemerkt hatte, dass es nicht seine Augen seien, die der Teufel holen würde, zog er Marsden die Spitze seiner Waffe über beide Augen und verdrehte sie dabei so, dass er den Hauptmann nicht nur blendete, sondern ihn auch so verstümmelte, dass er für immer ein Gegenstand des größten Entsetzens und Mitleids in den Augen seiner Betrachter bleiben wird.
Nachdem sein Gegner derart verstümmelt auf dem blutigen Sand des Wirtshausvorplatzes in Ohnmacht gesunken war, säuberte Bonnet seine Klinge, indem er sie an Marsdens Hemd abwischte, steckte sie in die Scheide und entfernte sich - nicht ohne Marsden jedoch die Geldbörse abzunehmen, die er als Bezahlung seiner ursprünglichen Wette in Anspruch nahm. Keiner der Anwesenden hatte den Mut, ihn daran zu hindern, da sie ein so deutliches Beispiel vor Augen hatten, wozu er fähig war.
Ich wiederhole diese Geschichte sowohl, um dich mit Bonnets letztem bekanntem Aufenthaltsort vertraut zu machen, als auch als Warnung vor seinem Naturell und dem, wozu er in der Lage ist. Ich weiß, dass dir Ersteres bereits gut vertraut ist, doch ich möchte
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