Das Flammende Kreuz
dir sagt. Selbstaufgabe führt zu einer Transformation der Persönlichkeit, doch die Person muss ihre Regenerierung selbst bewerkstelligen.«
Transformation der Persönlichkeit. Das hatte ich schon befürchtet. Dabei fand ich Rogers Persönlichkeit doch so, wie sie war, ganz in Ordnung!
Tja... zu dumm. Ich weiß nicht, was der T-E-U-F-E-L damit zu tun hat, aber ich bin mir wirklich sicher, dass es ein Fehler ist, wenn man versucht, zu weit in die Zukunft zu blicken. Zumindest im Moment.
74
The Sounds of Silence
Es dauerte zehn Tage, bis sie Penelope Sherstons Porträt zu ihrer Zufriedenheit vollendet hatte. Bis dahin hatten sich sowohl Roger als auch Isaiah Morton so weit erholt, dass sie reisefähig waren. Angesichts der bevorstehenden Geburt von Mortons Kind und der Gefahr, die ihm drohen würde, wenn er sich in die Nähe von Granite Falls oder Brownsville begab, hatte Jamie dafür gesorgt, dass er mit Alicia beim Braumeister von Mr. Sherstons Brauerei unterschlüpfen konnte; Isaiah würde eine Anstellung als Kutscher bei der Brauerei annehmen, sobald seine Kräfte es zuließen.
»Ich weiß auch nicht warum«, sagte Jamie unter vier Augen zu mir, »aber der unmoralische, kleine Spinner ist mir ein bisschen ans Herz gewachsen. Ich sähe es nicht gern, wenn er kaltblütig ermordet würde.«
Nach Alicias Ankunft waren Isaiahs Lebensgeister mit spektakulärer Geschwindigkeit zurückgekehrt, und es dauerte keine Woche, bis er die Treppe herunterkam, um sich in die Küche zu setzen und Alicia wie ein treuer Hund bei der Arbeit zuzusehen - und dann auf dem Rückweg ins Bett eine Pause einzulegen und seinen Kommentar zum Fortschritt des Porträts abzugeben.
»Sieht es ihr nicht haargenau ähnlich?«, sagte er bewundernd, während er im Nachthemd in der Tür zum Salon stand, wo Mrs. Sherston gerade Modell saß. »Also, wenn man das Bild sieht, weiß man gleich, wer es ist.«
Angesichts der Tatsache, dass Mrs. Sherston sich ausgesucht hatte, als Salome dargestellt zu werden, war ich mir nicht ganz sicher, ob sie dies als Kompliment auffassen würde, aber sie errötete sehr hübsch und bedankte sich, da ihr die Ehrlichkeit seines Tonfalls offenbar nicht entging.
Brianna hatte ihre Sache fantastisch gemacht und es geschafft, Mrs. Sherston zugleich realistisch und schmeichelhaft, jedoch ohne offene Ironie zu porträtieren - so schwer das auch gewesen sein musste. Der einzige Punkt, in der sie der Versuchung nachgegeben hatte, war ein nebensächliches Detail; der abgetrennte Kopf Johannes des Täufers hatte verblüffende Ähnlichkeit mit Gouverneur Tryons düsteren Zügen, doch ich bezweifelte, dass dies unter all dem Blut jemandem auffallen würde.
Wir waren zur Heimreise bereit, und das Haus war von rastloser Unruhe und Erleichterung erfüllt - die nur Roger nicht teilte.
Was seine rein körperliche Gesundheit betraf, so ging es Roger unleugbar besser. Abgesehen von den gebrochenen Fingern, konnte er seine Hände wieder bewegen, und die Blutergüsse, die sein Gesicht und seinen Körper bedeckten, waren verblasst. Vor allem aber hatte die Schwellung in seinem Hals so weit nachgelassen, dass er wieder Luft durch Mund und Nase befördern konnte. Ich hatte ihm das Röhrchen aus dem Hals entfernen und den
Einschnitt vernähen können - eine kleine, aber schmerzhafte Operation, die er reglos und mit weit geöffneten Augen über sich ergehen ließ. Er hatte zur Decke gestarrt, während ich arbeitete.
Was seine geistige Gesundheit betraf, so war ich mir nicht so sicher, dass er sich erholt hatte. Nachdem ich seinen Hals genäht hatte, hatte ich ihm geholfen, sich hinzusetzen, ihm das Gesicht abgewischt und ihm zur Wiederherstellung seiner Lebensgeister ein wenig Wasser mit Brandy gegeben. Ich hatte ihn beim Schlucken sorgfältig beobachtet, ihm dann sacht die Finger an die Kehle gelegt, diese sorgsam abgetastet und ihn gebeten, noch einmal zu schlucken. Ich schloss die Augen, und als er jetzt schluckte, spürte ich die Bewegung seines Kehlkopfes, die Ringe seiner Luftröhre, und begutachtete den Schaden, so gut ich konnte.
Als ich schließlich die Augen öffnete, hingen die seinen fünf Zentimeter vor den meinen. Sie waren immer noch weit geöffnet, die Frage darin kalt und schroff wie Gletschereis.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich schließlich, und meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Meine Finger lagen immer noch auf seiner Kehle; ich konnte spüren, wie das Blut durch die Schlagader unter meiner Handfläche
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