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Das Flammende Kreuz

Titel: Das Flammende Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Farbveränderungen waren das Resultat dieser zellulären Hausfrauenarbeit.
    Er öffnete die Augen, heftete sie auf ihr Gesicht, doch in seiner Miene regte sich nichts. Sie wusste, dass sie ein sorgenvolles Gesicht machte, und versuchte zu lächeln.
    »Du siehst gar nicht tot aus«, sagte sie. Das ließ die reglose Fassade zerbröckeln; seine Augenbrauen fuhren zuckend hoch, und in seinen Augen zeigte sich ein schwaches, humorvolles Glänzen.
    »Roger -« Da ihr die Worte fehlten, bewegte sie sich impulsiv auf ihn zu. Er erstarrte und zog instinktiv den Kopf ein, um das wackelige Röhrchen in seiner Kehle zu schützen, doch sie legte ihm vorsichtig den Arm um die Schultern, weil sie unbedingt spüren musste, dass er real war.
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie, und ihre Hand schloss sich fest um seinen Armmuskel, damit er ihr auch ja glaubte.
    Sie küsste ihn. Seine Lippen waren warm und trocken, vertraut - und doch durchfuhr sie ein Schreck. Es strich keine Luft über ihre Wange, kein warmer Atemhauch aus seiner Nase oder seinem Mund berührte sie. Es war, als küsste sie eine Maske. Aus den verborgenen Tiefen seiner Lungen zischte feuchte, kühle Luft durch das Bernsteinröhrchen an ihren Hals, wie der Luftzug aus einer Höhle. Eine Gänsehaut lief ihr über die Arme, und sie wich zurück. Sie hoffte, dass ihr weder der Schreck noch der Abscheu anzusehen waren.
    Er hatte die Augen geschlossen und fest zugekniffen. Sein Kinnmuskel verkrampfte sich; sie sah, wie dort der Schatten wanderte.
    »Ruh... dich aus«, brachte sie mit zittriger Stimme hervor. »Bis... bis morgen.«
    Sie stieg die Treppe hinunter und registrierte kaum, dass der Kerzenleuchter im Flur jetzt brannte oder dass die wartende Sklavin lautlos wieder aus dem Schatten in das Zimmer glitt.
    Sie war jetzt wieder hungrig, doch sie musste sich erst der unbenutzten Milch entledigen. Sie wandte sich dem Zimmer ihrer Eltern zu und spürte einen schwachen Luftzug in der drückenden Dunkelheit. Trotz der warmen, schwülen Luft, fühlten sich ihre Finger kalt an, als dünstete ihre Haut immer noch Terpentin aus.
     
    Letzte Nacht habe ich von meiner Freundin Deborah geträumt. Sie hat sich ein bisschen Geld damit verdient, dass sie beim Studentenverband Tarotkarten gelegt hat; sie hat mir ständig angeboten, es für mich umsonst zu machen, aber ich habe sie nicht gelassen.
    Schwester Marie Romaine hat uns im fünften Schuljahr erzählt, dass den Katholiken jede Art von Hellseherei verboten ist - wir dürften keine Alphabettafeln, Tarotkarten oder Kristallkugeln berühren, weil diese Dinge das
Werk des T-E-U-F-E-L-S seien - sie hat das Wort immer buchstabiert, es niemals ausgesprochen .
    Ich war mir nie so richtig sicher, was der Teufel damit zu tun hatte, aber irgendwie konnte ich mich nicht dazu durchringen, mir von Deb die Karten legen zu lassen. Aber letzte Nacht in meinem Traum hat sie es getan.
    Ich habe ihr oft dabei zugesehen, wie sie es für andere getan hat; ich fand die Tarotkarten faszinierend - vielleicht nur, weil sie verboten schienen. Aber sie hatten so coole Namen - Große Arkana, kleine Arkana; Ritter der Münzen, Bub der Kelche, Königin der Stäbe, König der Schwerter. Die Herrscherin, der Magier. Und der Gehängte.
    Klar, wovon sollte ich auch sonst träumen? Ich meine, das war nun wirklich kein subtiler Traum. Da lag sie inmitten der ganzen Karten, und Deb erzählte mir, was sie bedeutete.
    »Ein Mann hängt mit dem Fuß an einem Balken, der quer über zwei Bäume gelegt ist. Seine Arme sind hinter seinem Rücken gefaltet und bilden zusammen mit dem Kopf ein Dreieck, dessen Spitze nach unten zeigt; seine Beine bilden ein Kreuz. In gewisser Weise ist der Gehängte nach wie vor mit der Erde verhaftet, denn sein Fuß ist ja an dem Balken befestigt.«
    Ich konnte den Mann auf der Karte vor mir sehen, für ewig zwischen Himmel und Erde gefangen. Diese Karte war mir schon immer seltsam vorgekommen - der Mann schien überhaupt nicht beunruhigt zu sein, obwohl er mit dem Kopf nach unten hing und die Augen verbunden hatte.
    Deb schob die Karten wieder und wieder zusammen und legte sie erneut aus, und dieses Motiv tauchte ständig wieder auf.
    »Der Gehängte repräsentiert die Notwendigkeit der Hingabe und Aufopferung«, erklärte sie. »Diese Karte ist von profunder Bedeutung«, sagte sie und sah mich an, während sie mit dem Finger auf die Karte tippte. »Doch diese Bedeutung ist zum Großteil verschleiert; du musst selbst herausfinden, was sie

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