Das Flammende Kreuz
vom letzten Sonnenlicht in Feuer getaucht wurde. Er hob lächelnd den Finger an die Lippen und dann zu mir, doch als ich die Tür erreichte, hatte er sich schon wieder über die dicht beschriebenen Seiten gebeugt. Das einzelne Blatt mit den drei schwarzen Worten lag am Rand des Schreibtischs, vergessen - für den Augenblick.
97
Variationen in Blut
Draußen vor der Tür sah ich etwas Braunes aufblitzen, und Adso schoss vom Tisch, als hätte jemand »Fisch!« gerufen. Offenbar fast genauso gut; es war Lizzie, die sich auf dem Rückweg von der Milchkammer befand, in der einen Hand eine Schale mit angedicktem Rahm, in der anderen ein Buttergefäß, dazu hielt sie einen großen Milchkrug an ihre Brust gepresst, den sie mit ihren gefalteten Händen gerade eben festhalten konnte. Adso wand sich um ihre Knöchel wie ein pelziges Seil, und man konnte ihm ansehen, dass er hoffte, sie zum Stolpern zu bringen, so dass sie ihre Last fallen ließ.
»Überleg’s dir gut, Kater«, sagte ich zu ihm und streckte die Hand aus, um den Milchkrug zu retten.
»Oh, danke, Ma’am.« Lizzie entspannte sich und ließ mit einem kleinen Seufzer die Schultern sinken. »Ich wollte mir einfach nur den zweiten Weg ersparen.« Sie zog die Nase hoch und versuchte, sie an ihrem Unterarm abzuwischen, wodurch sie die Butter in Gefahr brachte.
Ich zupfte ein Taschentuch aus meiner Tasche und hielt es ihr unter die Nase, wobei ich den mütterlichen Impuls unterdrückte, »jetzt pusten« zu sagen.
»Danke, Ma’am«, wiederholte sie und neigte den Kopf.
»Geht es dir auch gut, Lizzie?« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm ich sie beim Arm und zog sie in mein Sprechzimmer, wo ich im Licht der großen Fenster genug sehen konnte.
»Mir geht es bestens, Ma’am. Wirklich, ich habe nichts!«, protestierte sie und hielt den Rahm und die Butter wie zum Schutz an sich gepresst.
Sie war blass - aber Lizzie war immer blass und sah so aus, als hätte sie kein einziges Blutkörperchen zu viel. Doch ihre Haut hatte ein seltsames, fahles Aussehen, bei dessen Anblick mir beklommen zumute wurde. Ihre letzte Malariaattacke war fast ein Jahr her, und sie schien grundsätzlich gesund zu sein, aber...
»Komm hierher«, sagte ich und zog sie zu einem Paar hochbeiniger Hocker. »Setz dich, nur ganz kurz.«
Trotz ihres sichtlichen Widerwillens wagte sie keinen Protest und setzte sich, wobei sie die Gefäße auf den Knien balancierte. Ich nahm sie ihr ab, warf einen Blick in Adsos unbewegte, grüne Raubtieraugen und stellte sie zur sicheren Aufbewahrung in den Schrank.
Puls normal - das hieß, normal für Lizzie; er war bei ihr immer ein wenig zu schnell und flach. Atmung... in Ordnung, keine Ablagerungen, kein Pfeifen. Ich konnte die Lymphdrüsen unter ihrem Kinn spüren, aber das war nichts Ungewöhnliches; durch die Malaria waren sie dauerhaft vergrößert
und fühlten sich wie Wachteleier unter ihrer Haut an. Doch auch die Lymphdrüsen in ihrem Hals waren jetzt geschwollen - und diese konnte ich normalerweise nicht fühlen.
Ich zog ihr Augenlid hoch und warf einen genauen Blick auf das blassgraue Rund, das mir nervös entgegen blickte. Oberflächlich in Ordnung, wenn auch etwas blutunterlaufen. Doch auch hier - irgendetwas... stimmte hier nicht ganz... mit ihren Augen, obwohl ich nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, was es sein mochte. Wies das Weiße ihrer Augen vielleicht einen Hauch von Gelb auf? Ich runzelte die Stirn und drehte ihren Kopf zur Seite, indem ich eine Hand unter ihr widerstandsloses Kinn legte.
»Hallo, ihr zwei. Alles in Ordnung?« Roger blieb in der Tür stehen und hielt lässig einen ausgesprochen großen, ausgesprochen toten Vogel in der Hand.
»Ein Truthahn!«, rief ich aus und bemühte mich um einen warmen, bewundernden Ton. Ich hatte wirklich nichts gegen Truthahn, aber Jamie und Brianna hatten in der letzten Woche mehrere dieser enormen Vögel erlegt, so dass in den vergangenen Tagen eine gewisse Monotonie Einzug in unseren Speiseplan gehalten hatte. Drei der Tiere hingen momentan im Räucherschuppen. Andererseits waren wilde Truthähne gerissen und schwer zu erlegen, und soweit ich wusste, hatte Roger noch nie einen eigenhändig erwischt.
»Hast du ihn selbst geschossen?«, fragte ich und trat pflichtbewusst näher, um das Tier zu bewundern. Er hielt es an den Füßen fest, und die großen, gerundeten Flügel hingen halb offen, so dass sich das Sonnenlicht in den regenbogenfarbig schillernden, schwärzlichgrünen Brustfedern
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