Das Flammende Kreuz
Offenbar war er der Meinung, das Wort »Testes« sei für die Ohren seiner Tochter nicht geeignet, denn seine Ohren standen in Flammen.
»Schon gut, Pa. Ich weiß, wo die kleinen Kinder her kommen«, versicherte ihm Brianna grinsend.
»Nun denn«, sagte ich und übernahm erneut das Kommando über das Gespräch. »Du hast ein Genpaar für jede Eigenschaft, ein Gen von deiner
Mutter und ein Gen von deinem Vater - aber wenn es an der Zeit ist, sie an deine Nachkommen weiterzugeben, kannst du nur ein Gen des Paars weitergeben. Denn das Kind bekommt ja noch ein anderes Gen vom anderen Elternteil, nicht wahr?« Ich zog eine Augenbraue hoch und sah Jamie und Roger an, die wie ein Mann nickten, als seien sie hypnotisiert.
»Nun gut. Manche Gene bezeichnet man als dominant, andere als rezessiv. Wenn ein Mensch ein dominantes Gen hat, ist dies dasjenige, das sich durchsetzt - das sichtbar wird. Er kann noch ein anderes Gen haben, das rezessiv ist, so dass man es nicht sieht - aber es kann immer noch an die Nachkommen weitergegeben werden.«
Mein versammeltes Publikum trug Mienen puren Argwohns.
»Das musst du doch in der Schule gelernt haben, Roger«, sagte dann Brianna belustigt.
»Nun, das habe ich auch«, murmelte er, »aber vielleicht habe ich da nicht richtig aufgepasst. Ich bin schließlich nicht davon ausgegangen, dass es tatsächlich eine Rolle spielen könnte.«
»Schön«, sagte ich trocken. »Also. Jamie, du und ich, wir haben offensichtlich eines der dominanten Gene, die es uns ermöglichen, unsere Zungen einzurollen. Aber «, fuhr ich mit erhobenem Finger fort, »wir müssen außerdem auch beide ein rezessives Gen haben, das das Zungenrollen verhindert. Und dieses rezessive Gen haben wir offenbar beide an Brianna vererbt. Daher kann sie ihre Zunge nicht einrollen. Roger muss ebenfalls zwei Exemplare des rezessiven Gens haben, denn wenn er nur ein einziges dominantes Gen hätte, könnte er es - und er kann es nicht. Q.E.D.« Ich verneigte mich.
»Wasdenn Testes?«, erkundigte sich eine piepsige Stimme. Jemmy hatte seine Steine liegen gelassen und blickte höchst interessiert zu mir auf.
»Äh...«, sagte ich. Ich sah mich Hilfe suchend im Zimmer um.
»Das ist Lateinisch für deine Eier, Junge«, sagte Roger ernst und verkniff sich das Grinsen.
Das schien Jemmy sehr zu interessieren.
»Jemmy Eier? Wo Jemmy Eier?«
»Äh...«, sagte Roger und sah Jamie an.
»Mmpfm«, sagte Jamie und sah zur Decke.
»Also, du hast einen Kilt an, Onkel Jamie«, sagte Ian grinsend. Jamie warf seinem Neffen einen Blick zu, der ein Gefühl tiefsten Verrats ausdrückte, doch bevor er eine Bewegung machen konnte, hatte Roger sich vorgebeugt und Jemmy sanft zwischen die Beine gefasst.
»Da, a bailach «, sagte er.
Jemmy knetete sich kurz im Schritt, dann sah er Roger an, die kleinen, roten Brauen verwundert gerunzelt.
»Kein Ei. Pimmel.«
Jamie seufzte tief und stand auf. Er wies mit einem Ruck seines Kopfes auf Roger, dann nahm er Jemmy bei der Hand.
»Aye, na schön. Komm mit mir und deinem Pa nach draußen, wir zeigen es dir.«
Briannas Gesichtsfarbe entsprach dem Farbton ihrer Haare, und ihre Schultern schüttelten sich kurz. Roger, dessen Wangen ebenfalls verdächtig rot waren, hatte die Tür geöffnet und trat zur Seite, um Jamie und Jemmy durchzulassen.
Ich hatte nicht das Gefühl, dass Jamie nachdachte, bevor er es tat; von einem Impuls ergriffen, wandte er sich Jemmy zu, rollte seine Zunge zu einem Zylinder zusammen und streckte sie Jemmy heraus.
»Kannst du das, a ruaidh ? «, fragte er und zog sie wieder ein.
Brianna hielt die Luft an und machte ein Geräusch wie eine aufgeschreckte Ente. Sie erstarrte. Roger erstarrte ebenfalls, und sein Blick klebte an Jemmy, als wäre der Kleine eine Bombe, die kurz davor stand, zu explodieren wie der Opal.
Jamie begriff eine Sekunde zu spät, und seine Wangen wurden bleich.
»Verdammt«, murmelte er sehr leise vor sich hin.
Jemmy riss tadelnd die Augen auf.
»Böse, Opa! Böses Wort, Mama?«
»Ja«, sagte Brianna, die Jamie mit zusammengekniffenen Augen ansah. »Da müssen wir Opa wohl den Mund mit Seife auswaschen, nicht wahr?«
Er sah stark danach aus, als hätte er bereits einen ganzen Mund voll Seife geschluckt, und zwar Kernseife.
»Aye«, sagte er und räusperte sich. Die Röte war ihm vollständig aus dem Gesicht gewichen. »Aye, das war sehr ungezogen von mir, Jeremiah. Ich muss die Damen um Verzeihung bitten.« Er verbeugte sich sehr formell vor mir und
Weitere Kostenlose Bücher