Das Flüstern der Albträume
hatte. Ob sie nun aus dem Gefängnis heraus war oder nicht, sie blieb als Mörderin gebrandmarkt.
Evas Schweigen vertiefte Angies Stirnfalte. »Wieso bist du zurückgekommen? Du warst so lange weg. Wieso bist du wieder hier?«
»Das habe ich mich in letzter Zeit auch oft gefragt.« Eva bemühte sich um einen gelassenen Tonfall, doch es gelang ihr nicht.
»Warum bist du hier, Eva?«
Um herauszufinden, warum meine besten Freundinnen sich gegen mich gewandt und mich ins Gefängnis gebracht haben. »Die Heimat hatte wohl eine stärkere Anziehungskraft, als ich dachte.« Eva seufzte. »Tut mir leid, dass ich nicht angerufen habe.«
»Wieso sollte es dir leidtun? Als wir uns zum letzten Mal gesehen haben, hast du gesagt, du wolltest nichts mehr mit mir zu tun haben.«
»Damals war es besser so.«
»Besser für dich?«
»Für dich.«
»Ist dir mal in den Sinn gekommen, dass ich dich vielleicht gebraucht hätte? Mom ist tot. Dad ist gestorben. Vielleicht hätte ich ja Familie nötig gehabt.«
Eva hatte einen Kloß im Hals. Sie schob eine Hand in die Hosentasche. »Ich habe tausendmal den Hörer abgenommen, aber ich konnte nie bis zu Ende wählen. Ich hatte wohl einfach das Gefühl, ich hätte kein Recht, wieder in dein Leben zu treten.«
Ein Teil der zornigen Anspannung wich aus Angies Haltung. »Du hättest mich anrufen sollen.«
»Ich weiß.«
Beklommenes Schweigen breitete sich aus. Keine von ihnen schien die von heftigen Gefühlen geschwängerte Stille durchbrechen zu wollen.
Eva lenkte die Aufmerksamkeit von Schmerzlichem auf Alltägliches. »Ich habe gehört, du bist Anwältin geworden.«
Angie nickte, sichtlich dankbar für den Themenwechsel. »Ja, Verteidigerin.«
»Ich habe in der Zeitung über dich gelesen. Du hast einen großen Fall gewonnen.«
Angie versteifte sich. »Ein Riesenerfolg.«
»Du musst glücklich darüber gewesen sein. Der Zeitung zufolge hatte niemand erwartet, dass Dixon freikommen würde.« Angie hatte die Argumentation der Anklage durchlöchert und ausreichend begründeten Zweifel gesät, um einen Freispruch ihres Mandanten zu erwirken.
»Ich weiß.«
»Mir scheint, du freust dich gar nicht über den Erfolg.«
Angie zog die Augenbrauen hoch. »Versuch nicht, meine Gedanken zu lesen, Eva.«
»War nur eine Frage.« Sie hatten einander so lange nicht gesehen, und doch fielen sie schon wieder in das alte Muster zurück, in dem Angie an ihrer Schwester herumkrittelte.
Angie schürzte die Lippen, genau so, wie sie es als Teenie getan hatte. »Bist du an Mutters Grab gewesen?«
Der vertraute, herrische Ton zerrte an Evas Nerven. »Einmal. Ich habe keine Blumen hingebracht.«
Angie ließ den Blick durch den Pub schweifen. »Du arbeitest hier?«
»Ja«, erwiderte Eva ohne Scham. »Der Besitzer ist gut zu mir. Er hat mir unter dem Dach günstig ein Zimmer vermietet, ich spare fürs Studium.«
»Studium?«
»Ich habe mich um ein Stipendium beworben.« Ihr Stolz hinderte sie daran, zuzugeben, dass man den Antrag wegen ihrer Vorstrafe zurückgewiesen hatte.
»Also, wenn du Geld brauchst …«
»Ich brauche kein Geld. Ich habe genug. Ich habe schon fast so viel gespart, wie ich brauche.« Eher würde sie sich einen Arm abhacken, als von ihrer Schwester Geld anzunehmen. »Wie hast du von mir erfahren?«
»Durch die Cops.«
»Welche Cops?«
»Garrison und Kier.«
Der Verrat traf Eva bis ins Mark. »Detective Garrison hat mir nicht erzählt, dass er sich das mit uns zusammengereimt hat. Er hätte zuerst mit mir sprechen müssen.«
»Es ist ihm erst gestern Abend aufgegangen. Er hat einen alten Zeitungsausschnitt mit einem Foto von mir auf der Treppe vor dem Gericht gesehen.«
Eva hatte eine Weile nicht mehr daran gedacht, wie hinterhältig Cops sein konnten. Sie würde es nicht mehr vergessen. »Er hätte zu mir kommen müssen.«
»Ich bin froh, dass er es nicht getan hat. Sonst hätte ich vielleicht nie erfahren, dass du wieder hier bist.«
Eva zog die Hand aus der Hosentasche. »Ich hätte es dir gesagt.«
»Wann denn, Eva? Du bist doch schon sechs Monate zurück.«
Eva wäre gern in der Lage gewesen, ihrer Schwester einen Zeitpunkt zu nennen. »Ich weiß es nicht.«
Angie wirkte angespannt. »Hättest du dich je gemeldet?«
»Ich glaube schon.«
»Das sagt ja so ziemlich alles.«
»Nein, tut es nicht.«
»Hör mal, Eva, Darius Cross ist tot, und seinem noch lebenden Sohn bist du völlig egal. Das Einzige, was dich abhält, mich anzurufen, bist du selbst.«
»Ich
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