Das Flüstern der Albträume
Gesichtsausdruck wie du. Es ist der Stell-mir-keine-Fragen-Gesichtsausdruck.«
Sowohl Eva als auch Bobby interessierten sich auf einmal sehr für die Kartoffeln, die sie schälten.
»Ihr seid aus demselben Holz geschnitzt«, meinte King.
Eva konzentrierte sich darauf, wie das Messer unter die Kartoffelschale fuhr. Bis zu diesem Augenblick hatte ihr Schweigen niemandem wehgetan außer ihr selbst. Und das war etwas, womit sie zurechtkam. Jetzt verletzte ihr Schweigen nicht nur sie, sondern auch Angie und Bobby, und es behinderte Garrisons Mordermittlung. So sehr ihr Schweigen sie eingelullt und geschützt hatte, sie konnte es sich nicht länger erlauben.
Sie warf die Kartoffel in einen Kochtopf mit Wasser. »Diese Frau, mit der ihr mich gerade habt reden hören, ist meine Schwester.« Sie blickte von Bobby zu King. »Sie heißt Angie Carlson und ist hier in der Stadt Anwältin.«
King grunzte. »Sie sah wütend aus.«
Eva zog die Augenbrauen hoch. »Du hast uns beobachtet?«
»Bobby und ich haben durch die Küchentür gelugt. Aber wir konnten nichts verstehen.«
»Ihr habt mir hinterherspioniert?«
King wirkte kein bisschen schuldbewusst. »Wir sind neugierig, weil wir uns Gedanken um dich machen. Stimmt’s, Bobby?«
Der Junge nickte. »Ja.«
Langsam nahm Eva eine weitere Kartoffel und begann sie zu schälen. Sie spürte Bobbys Blick auf sich. »Ich bin seit sechs Monaten wieder in der Stadt und habe mich nie bei Angie gemeldet. Ich hätte sie anrufen müssen. Es ist nicht gut, vor der Familie Geheimnisse zu haben.«
»Wie hat sie herausgefunden, dass du hier bist?«
»Detective Garrison hat sich alles zusammengereimt. Er hat es ihr gesagt.«
»Aber warum denn?«
Weil er glaubt, dass ich der Schlüssel zu seiner Mordermittlung bin. »Ich weiß es nicht.«
King sah sie an, als wollte er sagen: Du weißt es sehr wohl. »Und wie ist es gelaufen?«
»Besser als ich erwartet hatte. Trotzdem schwierig. Extrem schwierig.«
King kam um die Arbeitsplatte herum und legte einen Arm um Eva. »Eins habe ich gelernt, als ich in einem Haus voller Schwestern aufgewachsen bin.«
Tränen stiegen Eva in die Augen, und eine rollte ihr über die Wange. »Was denn?«
»Sie kämpfen bis aufs Blut, aber sie verzeihen einander immer.«
Gott, wie gerne wollte sie King Glauben schenken. »Das ist kein Streit um Kleider, King. Die Verletzung geht tiefer.«
Er drehte sie zu sich hin. »Gib dem Ganzen Zeit. Ihr werdet schon wieder einen Weg zueinander finden.«
Am liebsten wäre sie ihm in die Arme gesunken und hätte das Gesicht an seiner Brust vergraben. Sie wünschte sich, er würde sie festhalten, wie es ihr Vater getan hatte, als sie ein kleines Mädchen gewesen war, und die Dämonen vertreiben. Doch die Liebe ihres Vaters war geschwunden, als der Druck zu Hause zu stark geworden war, und er war gegangen. Dass er sie verlassen hatte, hatte sie schon früh gelehrt, dass sie auf sich allein gestellt war.
Eva wischte sich die Tränen weg. »Danke.«
»Sie glaubt mir nicht, Bobby«, sagte King. »Aber sie wird schon sehen, dass ich recht habe. Und du, Junge, wirst es ebenfalls sehen. Es ist immer besser, wenn man jemandem vertraut.«
Bobbys Blick schoss zwischen Eva und King hin und her. Er sagte nichts, doch die tiefe Falte, die immer zwischen seinen Augenbrauen zu liegen schien, hatte sich ein wenig geglättet. »Meine Mutter ist tot«, sagte er leise.
Einen Augenblick lang wagte Eva nicht zu atmen, aus Furcht, er könnte sich wieder verschließen.
»Ich vermisse sie«, fuhr er fort.
»Wie lange ist sie denn schon tot?«
»Lange.«
»Und wie ist sie gestorben?«
»Sie war krank.«
»Wie hieß sie?«, fragte Eva.
»Das ist egal.« Er zog die Schultern hoch, und Eva spürte, dass das Fenster, das gerade einen Spaltbreit aufgegangen war, sich wieder geschlossen hatte. »Ich kann sie nicht zurückholen, und ich will hier bleiben.«
»Wir wollen dich beschützen«, sagte Eva sanft.
Bobby sah sie mit Tränen in den Augen an.
»Ich weiß, dass du Angst hast«, beharrte sie. »Aber du musst uns von deiner Familie erzählen.«
Bobby sah aus, als würde sein Geheimnis gleich aus ihm herausplatzen. Nur noch ein paar Minuten, und sie würde vielleicht wirklich etwas über ihn erfahren.
Dann strich King Bobby über den Kopf. »Wir kriegen das schon hin, Junge. Keine Panik.«
Bobby griff nach dem Strohhalm, den King ihm hinhielt. »Ich muss nicht erzählen.«
»Nicht, solange du nicht dazu bereit bist, Kumpel.«
Eva
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