Das Flüstern der Albträume
der Schrank machte den Eindruck, als wäre er rasch im Kaufhaus gekauft und zusammengebaut worden, wobei ausschließlich praktische Erwägungen den Ausschlag gegeben hatten. In der Ecke stand ein Ohrensessel, der neu bezogen werden musste und an dem ein Zettel steckte.
Eva tappte über den Fußboden und griff danach. In der ordentlichen Handschrift ihrer Schwester stand da:
M USSFRÜHBEI G ERICHTSEIN . K OMMEABERRECHTZEITIGZURÜCK , SODASSWIRZUSAMMENZU A BENDESSENKÖNNEN .
Eva lächelte und steckte den Zettel ein. Dann zog sie sich an und tappte in die Küche. Sie machte Kaffee, und während er durchlief, rief sie King an. Das Besetztzeichen verriet ihr, dass der Hörer immer noch neben dem Telefon lag. Sie goss sich eine Tasse Kaffee ein und fragte sich, wie es ihm und Bobby gehen mochte. In den letzten Monaten waren sie ihre Familie gewesen, und sich hier zu verstecken, fühlte sich wie Verrat an.
Je länger sie über King und Bobby nachdachte, desto mehr Sorgen machte sie sich. Ihr Chef konnte es sich nicht leisten, den Pub ewig geschlossen zu halten, und wenn er wieder öffnete, würde er mit dem Andrang alleine womöglich nicht fertig werden. King würde darauf bestehen, dass sie in ihrem sicheren Versteck blieb, und allein der Gedanke daran verstärkte ihren Drang, bei ihm nach dem Rechten zu sehen.
Wenn sie sich durch den Hintereingang in die Küche schlich, konnte sie vielleicht vorbeischauen, ohne dass die Presse Wind davon bekam. Sie bestellte ein Taxi, und zwanzig Minuten später schlich sie durch die Gasse zum Hintereingang des Pubs. Als sie die Tür aufschloss, hörte sie hinter der Mülltonne ein Miauen.
Sie blickte hinüber und sah, wie das Kätzchen hinter der Tonne hervorlugte. In der Hoffnung, es einfangen zu können, näherte sie sich ihm, doch Merlin verschwand wieder hinter der Tonne. Offenbar war er noch nicht bereit, sich zu ihrer Patchworkfamilie zu gesellen. Sicher nur eine Frage der Zeit. »Ich hole dir ein bisschen Thunfisch, Merlin.«
Die Katze miaute.
Eva stieß die Tür auf. »King?«
Der alte Mann steckte den Kopf aus der Speisekammer. »Was tust du hier? Du sollst doch in deinem Versteck bleiben.«
»Es ging nicht mehr. Ich habe mir zu viel Sorgen um dich und Bobby gemacht.« Sie ging zum Kühlschrank und holte eine halb leere Dose Thunfisch heraus. »Merlin hat Hunger. Hast du ihn gefüttert?«
»Schon zweimal. Der verdammte Kater frisst mir noch die Haare vom Kopf.«
Eva lächelte. »Bobby füttert ihn mindestens zehnmal am Tag. Er ist eben verwöhnt.«
Sie nahm den Thunfisch mit nach draußen und kratzte ihn in das Katzenschälchen.
Als sie wieder im Haus war, wusch sie sich die Hände. »Öffnen wir heute zu Mittag?«
King runzelte die Stirn. »Was willst du hier?«
»Nach dir schauen.«
»Die Reporter haben gestern Abend gegen Mitternacht das Interesse verloren, aber sie kommen wieder.«
»Ich weiß. Ich bleibe nicht lange. Ist Bobby in der Schule?«
»Ja. Er wollte nicht, aber ich habe ihn gezwungen, weil er heute ein Diktat schreibt.«
»Gut. In der Schule wird ihn wahrscheinlich niemand mit mir in Verbindung bringen, er dürfte also keine Probleme bekommen.«
»Ich habe ihm für alle Fälle ein Handy in den Ranzen gesteckt.«
»Du bist ein guter Vater, King.«
Er sah sie an, und in seinem Blick lag eine Rührung, die sie nicht erwartet hatte. »Danke. Das bedeutet mir viel.«
»Wirst du Bobby adoptieren?«
Er zuckte die Schultern. »Das Vatersein fehlt mir.«
Eva hatte nie in Kings Vergangenheit herumgeschnüffelt – von der sie annahm, dass sie ebenso dunkel war wie ihre eigene. Doch allmählich erkannte sie, dass es nicht so viele Probleme löste, wie sie gehofft hatte, wenn man die eigene Vergangenheit zu vergessen versuchte. »Erzähl mir von deinem Sohn.«
»Ehe ich das tue, muss ich dir etwas sagen, was dir vielleicht nicht gefallen wird.«
Beklommenheit breitete sich in ihr aus. »Okay.«
»Ich bin nicht zufällig in das Übergangswohnheim gekommen, in dem du gewohnt hast. Ich habe einen Freund bei der Bewährungshilfe, der mir gesagt hat, wo du warst.«
»Wieso?«
King stieß einen Seufzer aus. »Ich habe deinen Prozess verfolgt. Es hat mich krankgemacht, mitzuerleben, was die Familie Cross dir angetan hat. Dieser Darius war wie eine verfluchte Dampfwalze. Er bekam, was er wollte, egal, was es war.«
Eva wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. »Du hast also nach mir gesucht.«
»Ich weiß, wie es sein kann, wenn man auf
Weitere Kostenlose Bücher