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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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sonst: »Wir verbrachten die meiste Zeit an Deck. Wir standen an der Reling, blickten aufs Meer und malten uns einen Neuanfang aus. Mein Vater träumte, glaube ich, von einem florierenden Geschäft, das die Pleite und die Schulden in Deutschland, die uns zum Umzug gezwungen hatten, vergessen machen würde. Meine Mutter mit Sicherheit von einer Ehe ohne Streit und ich von einer Schule, in die ich ohne Magenschmerzen gehen würde, und von einem Freund.«
    Er machte eine Pause, wartete, ob sie etwas sagen würde, aber sie war klug genug zu schweigen.
    »Nach einer Woche«, fuhr er fort, »wusste ich bereits, dass ich in der Neuen Welt ein Fremder bleiben würde. Meine Herkunft war nicht nur in München, sie war auch im New York der 60er Jahre ein Makel, dem ich nicht entkam, so sehr ich mich auch bemühte: Hier war ich der Deutsche, der Nazi, der kleine Hitler, und es kümmerte kaum einen der anderen Jungen in der Straße oder auf dem Schulhof, dass ich Leibovitz hieß, dass mein Vater Jude war und gegen die bösen Deutschen gekämpft hatte. Mein Akzent verriet mich sobald ich den Mund aufmachte. Das führte dazu, dass ich nur noch nach mehrmaliger Aufforderung und auch dann nur äußerst zögerlich und ungern etwas sagte.«
    Er blickte Christine an, als wolle er sich vergewissern, dass sie ihn nicht auslachte, dass sie ihm folgen konnte. Sie nickte, aber statt fortzufahren, erhob sich Paul und begann auf der Terrasse stumm auf und ab zu gehen.
    Nein, sie hatte nichts falsch gemacht. Nein, sie hätte ihn nicht unterbrechen sollen, nichts sagen müssen, ihr Verständnis, ihr Mitgefühl äußern sollen. Warum er nun so plötzlich schwieg? Er wusste es auch nicht.
    Beim Abschied an der Fähre fragte sie ihn nach seiner Telefonnummer, er ignorierte ihre Bitte, und als sie am nächsten Wochenende wieder vor dem Haus stand, lag er auf seinem Futon und rührte sich nicht.
    Er wusste, dass er sie verletzte, aber ihm fehlte die Kraft für Erklärungen. Er hatte sich am Sonntag zuvor verausgabt und darunter die ganze Woche gelitten. Sie rief noch ein paar Mal seinen Namen, klopfte an der Tür und wartete einige endlos scheinende Minuten, bis sie endlich wieder ging. Am nächsten Morgen fand er ihre Geschäftskarte, die sie durch den Briefschlitz gesteckt hatte. Zehn Tage später rief er sie an.
    So waren die vergangenen sechs Monate verstrichen. Angenehmen Sonntagen voller Harmonie folgten Tage des Schweigens, schwierige Wochen, in denen er ihre Stimme nur am Telefon ertrug, in denen er sie samstags bat, nicht zu kommen, und sonntags doch ungeduldig auf dem Pier auf und ab ging, voller Sehnsucht, voller Angst, dass sie sich womöglich seinem Wunsch widersetzte. Von Justin konnte er ihr nur in groben Zügen erzählen, körperliche Nähe ertrug er kaum. Ihr einziger Versuch, miteinander zu schlafen, endete nach wenigen Minuten. Bei ihm bewegte sich nichts, er lag neben ihr, erstarrt zu einem Stück Holz. Immer wieder nahm er sich vor, diese Beziehung zu beenden, dass er es nicht tat, lag an der Geduld, mit der Christine seine Stimmungen ertrug, an der Achtsamkeit, mit der sie darauf reagierte. Sie machte ihm keine Vorwürfe. Sie forderte nichts. Warum nicht?
    »Weil ich spüre, dass du mir das gibst, was du im Moment geben kannst«, hatte sie ihm geantwortet.
    »Und das genügt dir?«
    »Ich glaube, die Zeit ist auf meiner Seite«, hatte sie mit einem schüchternen Lächeln entgegnet.
    Als wäre Vertrauen etwas für Dumme. Als hätten wir eine Wahl.

VI
    Paul saß noch immer auf der Hafenpromenade, seit dem Gespräch mit den Owens war mehr als eine Stunde verstrichen, und seine Unentschlossenheit machte ihn zunehmend wütend. Er sollte doch wohl noch in der Lage sein, sich bei seinem Freund nach diesem Amerikaner zu erkundigen.
    Er holte sein Handy hervor, David Zhangs Nummer war irgendwo im Telefon gespeichert, nun musste er sie unter all den Extras, Programmen, Diensten, Profilen und Funktionen des Apparates nur finden. Mehrmals drückte er die falschen Tasten, bis er endlich ein Tuten vernahm.
    »Hallo?«
    Er war erleichtert, Davids vertraute, tiefe Raucherstimme zu hören.
    »Ich bin es. Störe ich?«
    »Du? Nie. Das weißt du doch.«
    »Wo steckst du?«, fragte Paul. »Hast du einen Moment Zeit?«
    »Ich sitze gegenüber vom Präsidium auf der Straße und esse eine schlechte Nudelsuppe. Grausam.«
    »Bist du allein?«
    »Du stellst Fragen. Hast du schon einmal einen Chinesen allein essen sehen? Ich bin umgeben von...«
    »Ich

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