Das Flüstern der Stille
stopfen. Also sei jetzt still.“
Ich verstumme, nicht wegen seiner Drohung, sondern weil ich die gleiche Szene schon einmal erlebt habe, zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort, als Außenstehender, der zugeschaut hat, aber trotzdem war es genau das Gleiche. Arme Calli, dachte ich. Arme vier Jahre alte Calli, muss zusehen, wie ihre Mutter die Treppe hinunterfällt. Sein Gebrüll „Halt den Mund, halt den Mund“ ließ Calli zusammenzucken, aber sie konnte nicht aufhören zu weinen. Ich erinnere mich daran, zugedeckt auf der Couch gelegen und zugesehen zu haben, wie Griff seine kleine vierjährige Tochter anschrie. Ich erinnere mich, dass Griff sich zu ihr hinunterbeugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Und seit vier Jahren hat sie nur ein Wort gesagt. Ein einziges Wort.
„Oh mein Gott“, keuche ich in sein Ohr. „Du warst es, du warst es!“
Ben
„Also wurde Prinzessin Calli von dem König gefangen genommen, der nicht wusste, was er tat, weil er den Zaubertrank getrunken hatte. Die Prinzessin versuchte immer wieder, ihre Magie zu benutzen, aber sie funktionierte bei dem König nicht, weil er zu stark war.“
Ich schaue hinüber zu Dr. Higby, der immer noch still auf dem Stuhl sitzt. Direkt neben ihm steht die nette Schwester, Molly. Sie legt einen Finger auf die Lippen und schaut zu dir herüber, Calli. Du guckst nur mich an, schaust zu mir auf, als ob du mir sagen willst, dass ich weitermachen soll.
„Prinzessin Calli und der König verirrten sich in dem großen, dunklen Wald, und Callis Füße taten weh, weil sie keine Schuhe anhatte. Aber trotzdem wanderten sie gemeinsam weiter durch den Wald. Ihr war so heiß, und sie hatte Durst, sie wollte zu ihrer Mutter, der Königin, und ihrem Bruder, dem Prinzen, aber sie wusste nicht, wo die beiden waren. Sie verstand einfach nicht, wieso sie ihr nicht nachkamen. Vielleicht hatten sie sie vergessen, dachte die Prinzessin. Aber das hatten sie nicht. Sie hatten den ganzen Tag damit verbracht, nach ihr zu suchen. Ihr Bruder suchte und suchte, und auch die Soldaten des Königreichs waren ausgeschwärmt, um sie zu finden. Und endlich fand ihr Bruder sie, oben auf dem Felsen, zusammen mit dem König und ihrer Freundin Petra. Nur war Prinzessin Petra sehr schwer verletzt. Der König hatte etwas sehr Schlimmes getan und ihr so wehgetan, dass Petra jetzt diejenige war, die nicht mehr sprechen konnte.“
Ich fühle Calli neben mir steif werden und schaue zu ihr. „Geht die Geschichte nicht so weiter, Calli? Ist das nicht so passiert?“, frage ich sie. Sie sitzt stocksteif da, ihr Gesicht so ernst, als ob sie sehr hart nachdenkt. Langsam schüttelt sie den Kopf von einer Seite zur anderen. Ich sehe, dass Dr. Higby sich in seinem Stuhl vorlehnt. „Was ist passiert, Calli?“, frage ich sie. „Du musst die Geschichte zu Ende erzählen, ich kann es nicht. Ich war nicht die ganze Zeit über da. Du musst das Ende der Geschichte erzählen.“
Martin
Sie lassen mich nicht selbst in den Krankenwagen steigen, sondern bestehen darauf, dass ich mich auf die Trage lege, mit der sie mich dann in den Wagen schieben.
„Mir geht es gut“, behaupte ich, aber niemand scheint mir zuzuhören. Ein Sanitäter fängt an, meinen Kopf zu betasten, sein Gesicht ist weich und ausdruckslos. Sehr professionell, denke ich. Ich weiß, dass ich genäht werden muss, aber bevor das passiert, brauche ich ein Telefon.
„Bitte, ich muss telefonieren. Ich muss meine Frau anrufen“, sage ich.
„Jemand vom Krankenhaus wird Ihre Familie informieren, machen Sie sich keine Sorgen, Sir.“
„Nein, bitte. Meine Tochter ist das Mädchen, das mit dem Helikopter nach Iowa City gebracht worden ist. Meine Frau hat versucht, mich zu erreichen. Bitte, ich muss mit ihr sprechen. Ich muss wissen, wie es meiner Tochter geht.“ Ich versuche, mich aufzusetzen, aber der Sanitäter drückt seine Hände sanft, aber bestimmt auf meine Brust, damit ich mich wieder hinlege. Ich muss ziemlich gestresst aussehen, denn plötzlich habe ich ein Handy in der Hand, und ein paar Minuten später spreche ich mit Fielda, die beim Klang meiner Stimme zusammenbricht.
„Martin, Martin, wo bist du gewesen? Geht es dir gut?“, weint sie.
„Ja, ja, mir geht es gut.“ Ich werde ihr später von meinem kläglichen Versuch als Held berichten. „Wie geht es Petra? Ist alles okay? Man hat mir gesagt, dass sie operiert werden muss.“
„Sie ist gerade im OP. Es tut mir leid, Martin, ich konnte nicht länger warten. Ich
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