Das Flüstern der Stille
Griff!“, rufe ich. Griff hält einen Moment inne, als ob er unsere Anwesenheit wahrnimmt.
„Wovon redest du? Halt den Mund!“, sagt Griff zu Toni, und ich höre die Verwirrung in seiner Stimme.
„Ich dachte, es sei wegen all dem, was sie gesehen hat, als ich das Baby verloren habe. Ich dachte, es wäre meine Schuld. Aber du warst es. Du hast ihr etwas ins Ohr geflüstert. Was hast du gesagt? Was hast du zu ihr gesagt?“ Tonis Worte verschwimmen, doch ihr fürchterlicher Inhalt lässt Griff einen Schritt zurücktreten. Ich ziele erneut.
„Halt den Mund, Toni! Du weißt doch nicht, was du da redest.“ Griff versucht, leise zu reden. Ich kann sehen, wie er vor Wut zittert. Oder wegen seiner Entzugserscheinungen. Er fängt nun ebenfalls an zu weinen. Er beugt sich vor, sodass seine Stirn an Tonis stößt, und drückt sich dann den Lauf der Waffe an die Schläfe.
„Lassen Sie die Waffe fallen!“, explodiert Fitzgerald. Er hat sich immer weiter von mir entfernt. Wenn Griff sich jetzt entschließen würde zu schießen, würde er nur einen von uns erwischen.
Ich nehme ihn wieder ins Visier, aber er steht zu nah bei Toni, und ich kann es nicht riskieren abzudrücken. Plötzlich tritt er einen Schritt zurück und richtet die Waffe auf Tonis Gesicht. Meine Chance. Ich ziele noch einmal genau, und dann höre ich einen Schrei und direkt danach einen lauten Knall, der nicht von meiner Waffe stammt. Ich bin zu spät. Ich sehe, wie Griff und Toni gemeinsam zu Boden stürzen.
Innerhalb von Sekunden ist Fitzgerald bei ihnen. Ich kann nicht näher kommen. Mir ist schlecht, und ich fühle mich blamiert.
„Kommen Sie, helfen Sie mir, beeilen Sie sich!“, ruft Fitzgerald mir zu, während er versucht, Griff von Toni herunterzurollen. Ich sehe, wie sie mit ihren Händen gegen Griffs Körper drückt, versucht, ihn von sich herunterzuschieben. Sie krabbelt unter ihm hervor, bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.
Ich stehe über ihr, nicht in der Lage, sie zu trösten, nicht hier, nicht jetzt. Ich rufe Verstärkung und einen Krankenwagen, auch wenn klar ist, dass Griff tot ist. Fitzgerald ist derjenige, der sich neben sie kniet und ihr beruhigende Worte zuflüstert. Ich glaube nicht, dass sie überhaupt weiß, dass ich da bin. Sie klammert sich an Fitzgerald und lässt ihn nicht los. Sogar als er sie den Weg entlangführt, lehnt sie sich schwer an ihn, während ich zurückbleibe und auf den Gerichtsmediziner und die Kriminaltechniker warte.
Stunden später erfahre ich, dass Griffs Waffe nicht geladen war. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich ihn nicht erschossen habe. Aber wenn ich die Chance gehabt hätte, hätte ich es getan. Nur zu gern.
Calli
Die Worte ihres Bruders branden über sie hinweg, die Geschichte, die er ihr erzählt. Sie versucht, die vielen erwartungsvoll auf sie gerichteten Augen zu ignorieren. Sie denkt zurück an den Augenblick auf dem Felsen, als sie erst ihn gesehen hat und dann Petra.
Sie hatte sich hinuntergebeugt, um die Kette aufzuheben, Petras Kette. Seine Anwesenheit fühlte sie, bevor sie ihn sah. Sie spürte das Gewicht seines Blicks auf sich. Angst, Kälte und Schwärze schlichen sich in ihre Brust. Immer noch nach vorn gebeugt, hob sie langsam den Blick und sah seine schmutzigen Wanderschuhe mit den dicken Sohlen, die nahtlos in die matschbespritzte, olivfarbene Hose überzugehen schienen; und das war der Moment, in dem Callis Blick sich beruhigte. Er stand oberhalb von ihr auf einem breiten, flachen Stein, der die Farbe von Sand hatte. Sie sah eine herunterhängende, kleine, blasse Hand, die auf Höhe seines Knies den farblosen Stoff seiner Hose streifte. Calli richtete sich auf, die Kette fest mit den Fingern umschlossen, und sah ihre Freundin als lebloses Bündel in seinen Armen. Petra hatte die Augen geschlossen, als ob sie schlafen würde. Über ihrer linken Augenbraue klaffte ein böser, drei Zentimeter langer Riss. Eine Collage von lilafarbenen, schmutzigen Quetschungen zog sich über ihre Wange bis zu den Lippen, die aufgesprungen und blutig waren, und weiter ihren Hals entlang, der zu schwach war, um ihren Kopf zu halten. Ihr blauer Schlafanzug war dreckig, mit einer dunkelbraunen, verkrusteten Schmiere überzogen. Ihre schäbigen, früher weißen Turnschuhe waren offen, die schmutzigen Schnürsenkel hingen schlaff um ihre Knöchel.
„Hilf mir“, bettelte er. „Sie ist verletzt. Ich kann sie nicht allein ins Tal bringen.“ Er starrte Calli direkt in die Augen, seine
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