Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
»Ich bin sicher, er beantwortet gern Ihre Fragen, wenn es sich dadurch vermeiden lässt, die Polizei hinzuzuziehen.«
Der Vorsitzende nickte widerstrebend. Ich nahm die Befragung auf.
»Wenn ich mich recht entsinne, Sir, befindet sich der Waschraum neben der Garderobe, nicht wahr?«
»Korrekt.«
»Gibt es im Waschraum eine Aufsicht?«
»Nein.«
»Und in der Garderobe? Ist da das Personal immer zugegen?«
»Selbstverständlich.«
»Euer Gnaden, würden Sie mir zeigen, wo genau Sie ihr Necessaire zum letzten Mal gesehen haben?«
Wir folgten dem Herzog in den Waschraum. Die linke Wand war gesäumt von einem Dutzend aufwendig verzierter Marmorwaschbecken mit Spiegeln. Rechter Hand befanden sich die Kabinen aus dunkel gebeiztem Mahagoniholz mit Messingbeschlägen. Ein kleiner Bereich neben der Tür war ausgespart worden. In den Marmorfliesen war eine Öffnung von ungefähr einem Quadratmeter mit einer mahagoniverkleideten Luke.
»Diese Luke verbindet wohl den Waschraum und die Garderobe?«, fragte ich.
»Natürlich, was denn sonst?«, blaffte der Vorsitzende. »Kommen Sie zur Sache!«
Ich ging, gefolgt von den anderen, in die Garderobe, wo ein Angestellter in Dienstuniform eine Zigarette rauchte, die er schuldbewusst beiseite legte, als er uns sah. »Wie kann ich den Herren behilflich sein?«, stammelte er.
»Sie können mir zeigen, welchen Mantel Colonel Sebastian Moran Ihnen zur Aufbewahrung gegeben hat. Ich vermute, es handelt sich dabei um einen schweren Reitumhang oder um einen dieser modernen, weit geschnittenen Mäntel, die man ›Ulster‹ nennt.«
Der Angestellte sah mich ratlos an.
»Was soll das bedeuten, Sir?«, ereiferte sich der Vorsitzende. »Colonel Moran ist ein angesehenes Mitglied unseres Klubs. Was um alles auf der Welt geht Sie sein Mantel an?«
Der Herzog von Cloncury betrachtete mich mit Missfallen. »Ich hoffe, Sie haben eine gute Erklärung parat, junger Mann«, sagte er.
»Sie wollen ganz bestimmt, dass Ihr Necessaire gefunden wird, nicht wahr?«, gab ich ungerührt zurück.
»Das wissen Sie doch!«
»Waren Sie während der letzten dreißig Minuten auf Ihrem Posten?«, fragte ich den Angestellten.
»Jawohl, Sir.«
»Vor nicht allzu langer Zeit klopfte Colonel Moran an die Tür der Luke und bat Sie, ihm seinen Mantel in den Waschraum zu reichen. Habe ich recht?«
Dem Mann blieb vor lauter Erstaunen der Mund offen stehen. »Sie haben recht, Sir. Er sagte, er wollte sich die Haare kämmen, hätte aber Kamm und Bürste in der Manteltasche vergessen. Und was den Mantel angeht, haben Sie ebenfalls recht. Er besitzt einen dieser neumodischen Ulster.«
»Und wenige Minuten später kam der Colonel in die Garderobe, um seinen Mantel wieder abzugeben, nicht wahr?«
»Korrekt, Sir. Genau so war es.«
Ich lächelte triumphierend in die Runde. Vielleicht wirkte ich dabei ein wenig selbstgefällig.
»Wie, zum Teufel, sind Sie darauf gekommen?«, knurrte der Vorsitzende.
Ohne ihn zu beachten, wandte ich mich wieder an den Bediensteten und forderte ihn auf: »Holen Sie mir doch bitte Colonel Morans Mantel, guter Mann.«
Der Mann reichte mir schweigend das fragliche Kleidungsstück.
Ich durchsuchte die zahlreichen Taschen und fand in einer von ihnen erwartungsgemäß das lederne Necessaire.
Cloncury griff sehnsüchtig nach seinem geliebten Andenken. »Woher haben Sie das gewusst?«
»Gewusst? Ich bin streng logisch vorgegangen, Euer Gnaden. Wenn Sie so gut wären, einmal die Haarbürste herauszuholen? Sie werden feststellen, dass sich einige pechschwarze Haare zwischen den Borsten verfangen haben. Wie man unschwer erkennen kann, färbt sich Colonel Moran das Haar.«
Der Herzog benötigte nur wenige Sekunden, um meine Vermutung zu bestätigen.
»Ich halte den Colonel für einen Spieler«, erklärte ich, »für einen Menschen also, der Gelegenheiten spontan nutzt, wenn sie sich ihm bieten. Er betrat den Waschraum, als der Herzog in einer der Kabinen war, sah das Necessaire auf dem Waschtisch liegen und erkannte seine Chance. Ihm war bekannt, dass dieser Gegenstand für den Herzog von großem ideellen Wert ist. Vielleicht gedachte er ihn damit zu erpressen – durch einen Mittelsmann natürlich. Was auch immer er damit vorhatte, er schritt sofort zur Tat, indem er sich seinen Mantel geben ließ und das Necessaire verstaute. So hätte er es unbemerkt aus dem Klub schmuggeln können. Er verließ sich darauf, dass man ihn als Mitglied nicht durchsuchen würde …«
»Das will ich wohl
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