Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
Herren«, befahl der Vorsitzende. »Sie müssen ihn dabei nicht mit Samthandschuhen anfassen.«
Als sie ihn hinausführten, warf mir Moran über die Schulter einen letzten zornigen Blick zu. »Ich habe mir Ihren Namen gemerkt, Holmes«, zischte er. »Sie werden noch von mir hören.«
Als ich mit Mycroft in einer Mietdroschke zu meiner Wohnung in der Lower Baggott Street fuhr, sagte er: »Sherlock, ich verstehe noch immer nicht, woher du wusstest, dass Moran das Necessaire gestohlen hat.«
»Elementar, mein lieber Mycroft«, erwiderte ich schmunzelnd. »Als wir den Speisesaal verließen, gingen wir an Morans Platz vorbei. Ich bemerkte, dass auf seinen Schultern Kopfschuppen und einzelne weiße Haare lagen. Dabei sind die Haare des Colonels, wie du weißt, pechschwarz gefärbt. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich mir nichts Böses, aber als ich erfuhr, dass sich im entwendeten Necessaire Kamm und Bürste befanden, war das Puzzle komplett. Der Herzog hat nicht nur weißes Haar, sondern er leidet auch unter Kopfschuppen. Als Moran Cloncurys Utensilien benutzte, fielen weiße Haare und Schuppen auf seine Schultern. So eitel, wie Moran nun einmal ist, hätte er sie sofort entfernt, hätte er von ihrer Existenz gewusst. Fazit: Weder die Haare noch die Schuppen waren seine eigenen. Alles ganz einfach.«
Moran hatte mir zugerufen, dass ich noch von ihm hören würde. Seine Drohung sollte sich bewahrheiten. Damals konnte ich nicht wissen, wie sich unsere Wege einmal kreuzen und welch eine unrühmliche Rolle Morans Freund Professor Moriarty noch in meinem Leben spielen würde. Während Moriarty mein Erzfeind wurde, ist Colonel Sebastian Moran der zweitgefährlichste Mann, dem ich jemals begegnet bin.
Das Phantom von Tullyfane Abbey
»Irgendwo in den Gewölben der Bank von Cox & Co. am Charing Cross liegt ein reisemüder und verbeulter blecherner Depeschenbehälter, auf dessen Deckel mein Name geschrieben steht: Dr. med. John H. Watson, ehemaliger Angehöriger der indischen Armee. Dieser Behälter ist vollgestopft mit Papieren, die fast nur aus Aufzeichnungen von Fällen bestehen zur Veranschaulichung der merkwürdigen Probleme, die Mr. Sherlock Holmes zu verschiedenen Zeiten zu untersuchen hatte. Einige davon (und mitnichten die uninteressantesten) waren komplette Fehlschläge, und als solche haben sie wohl kaum Anspruch darauf, erzählt zu werden, da keine abschließende Erklärung vorliegt. Den Forscher mag ein ungelöstes Problem interessieren, doch den Gelegenheitsleser wird es gewiss nur verdrießen. Unter diesen unvollendeten Geschichten befindet sich die von Mr. James Phillimore, der in sein Haus zurückging, um seinen Regenschirm zu holen – und dann nie wieder gesehen ward.«
Arthur Conan Doyle,
»Das Rätsel der Thor-Brücke«
Dies ist eine der besagten Aufzeichnungen.
Ich muss gestehen, dass ich meinen geschätzten Freund, den berühmten Privatdetektiv Sherlock Holmes, selten aufgebracht erlebt habe. Tatsächlich wirkte er meistens so emotionslos, dass es maßlos untertrieben gewesen wäre, seine Haltung als »unter kühlt « zu beschreiben.
Als ich ihn jedoch eines Abends aufsuchte, um zu erfahren, wie er über meinen Bericht zum »Rätsel der Thor-Brücke« dachte, wirkte er untypischerweise äußerst angespannt. Er saß in seinem gewohnten Sessel, die erloschene Pfeife zwischen den Lippen, in einer schmalen, bleichen Hand meinen handgeschriebenen Entwurf des Berichts. Er blickte mir finster entgegen und empfing mich mit den Worten: »Verflucht, Watson, musst du mich unbedingt in aller Öffentlichkeit lächerlich machen?«
Erschrocken über den unerwarteten Vorwurf, beeilte ich mich zu sagen: »Ich finde eigentlich, dass du eine gute Figur abgibst. Schließlich hast du einer bemerkenswerten Frau geholfen, und was Mr. Gibson betrifft, so denke ich doch, dass er etwas aus der Sache gelernt hat …«
»Unsinn!«, fiel mir Holmes ins Wort. »Ich spreche nicht vom Fall Grace Dunbar, der, apropos, keineswegs so dramatisch verlaufen ist, wie du ihn schilderst. Nein, Watson, ich meine dieses« – er wedelte mit den Papieren –, »dieses umständliche Vorwort! Du bezeichnest einige meiner ungelösten Fälle als Fehlschläge. Ich habe sie dir gegenüber nur flüchtig erwähnt. Nun aber erfahren ich und die Leser des ›Strand Magazine‹, dass du sie niedergeschrieben und in einer abscheulichen kleinen Blechbüchse in Cox’s Bank deponiert hast!«
»Ich finde nicht, dass du Grund hast, dich zu
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