Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
Die Irish National Invincibles haben die Verantwortung für die Tat übernommen.«
Das Schweigen, das nun folgte, schien sehr lange anzudauern.
Schließlich erhob sich Lord Maynooth mit grimmiger Miene. »Die Reaktion der englischen Regierung lässt sich leicht vorhersehen. Obwohl sich die Irische Nationalpartei und die Irische Republikanische Bruderschaft längst von den Invincibles distanziert haben, wird man alle in einen Topf werfen. Es wird Verhaftungen geben, ein neues Zwangsvertreibungsgesetz wird uns aufgezwungen werden, und die Änderungen der Pachtgesetze und die irische Selbstverwaltung werden für Generationen zurückgestellt werden.«
Der Dunkelhaarige erhob sich ebenfalls. »Es gibt nichts mehr, das wir tun könnten«, sagte er schlicht.
»Und was ist mit Mycroft?«, rief Holmes empört.
»Er kennt die Verschwörer. Damit ist er so gut wie tot.«
»Damit finde ich mich nicht ab!«, verkündete mein Freund.
»Das ganze Land steht jetzt Kopf«, bemerkte der Bärtige. »Ihr Bruder ist bedauerlicherweise entbehrlich geworden.«
Nur der blonde Vertreter der Irischen Republikanischen Bruderschaft, der als einziger Platz behalten hatte, sah Holmes mitfühlend an und sagte mit ruhiger Stimme: »Ich will Ihnen helfen, so gut ich kann. Meine Herrn, ich schlage vor, wir setzen uns wieder und besprechen, wie sich der Schaden in Grenzen halten lässt.«
Widerstrebend ließen sich die beiden anderen am Tisch nieder. Holmes kramte eines der beiden Telegramme, die er empfangen hatte, hervor und überflog es hastig. »Mycroft hat mir genügend Hinweise geliefert«, sagte er. »Was mir fehlt, ist der Schlüssel zu seinem Code. Vermutlich ist die Lösung zum Greifen nahe.«
Als er bemerkte, dass ihn die drei Herren verständnislos anschauten, reichte er ihnen das Telegramm herüber. Nachdem er den Text gelesen hatte, schüttelte der Blonde ratlos den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn, Mr. Holmes. Es ist nichts als Kauderwelsch, ganz gleich, in welcher Sprache.«
Holmes starrte ihn an wie vom Donner gerührt. »Sprache!«, rief er so laut, dass alle glaubten, er habe den Verstand verloren. »Spra che ! Gibt es hier irgendwo ein englisch-irisches Wörterbuch?«
Es wurde nach dem Buch geschickt. Wir mussten eine Viertelstunde voller Ungeduld warten, ehe es von einem Boten gebracht wurde. »Die meisten Wörterbücher, die wir besitzen, sind irisch-englische«, erklärte der Mann. »Das einzige englisch-irische, das ich finden konnte, ist dieses. Es ist 1732 in Paris erschienen …«
Holmes riss ihm das Buch aus der Hand, setzte sich neben die Lampe und blätterte emsig. Schon nach kurzer Zeit blickte er triumphierend auf. »Meine Herrn, Sie müssen O’Keefe aus dem Dublin Castle verhaften. Er hat mit den Invincibles zusammengearbeitet.«
»O’Keefe?«, entgegnete der Hauptmann ungläubig. »Das ist unmöglich. Ich kenne ihn – er ist Mitglied des protestantischen Oranier-Ordens. Mit den Invincibles hat er nichts zu schaffen.«
»Und doch ist er der Mann, den Mycroft zu entlarven beabsichtigte« beharrte Holmes. »Er hat ihn am Abend seines Verschwindens in seine Wohnung eingeladen, vermutlich, um ihn dort von Ihren Mittelsmännern verhaften zu lassen.«
Lord Maynooth bedachte Holmes mit einem skeptischen Blick. »Sie müssen mir erklären, wie Sie so schnell auf diese Lösung gekommen sind, Sir. Das Ganze gleicht ja einem Zauberkunststück.«
»Dafür bleibt später noch genug Zeit«, entgegnete Holmes knapp. »Als erstes müssen wir herausfinden, ob sich in der Nähe von Maulnagower in der Grafschaft Kerry ein größeres Anwesen befindet. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass mein Bruder dort festgehalten wird.«
Plötzlich wurde es still. Alle Blicke richteten sich auf den Herrn mit dem dunklen Bart, der allem Anschein nach die Irische Nationalpartei vertrat. »Aber dort ist doch Ihr Landsitz …« begann Lord Maynooth. Bevor er zu Ende sprechen konnte, stieß der andere eine Verwünschung aus und stürzte zur Tür, doch der Hauptmann stellte sich ihm in den Weg, ergriff ihn und drehte ihm den Arm auf den Rücken.
»Holmes, das ist ja nicht zu fassen!« rief ich. »Woher, um alles in der Welt, hast du das gewusst?«
Mein Freund sah mich mitleidig an. »Wir waren von Anfang an im Besitz sämtlicher Hinweise. Wir verstanden sie nur nicht zu deuten. Erst als unser republikanischer Freund das Stichwort ›Sprache‹ lieferte, wusste ich, wie ich vorgehen musste.«
Bitte befriedigen Sie doch unsere
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