Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
seine Bemerkung. »Du warst offensichtlich die letzte Person, die Bathach und Moman lebend gesehen hat.«
Der Mönch schüttelte den Kopf. »Der letzte, der sie lebend gesehen hat, ist zweifelsohne derjenige, der sie umgebracht hat«, entgegnete er.
Fidelma verzog das Gesicht.
»Deine Logik in Ehren, Bruder. Trotzdem, kurz bevor ihre Leichname entdeckt wurden, hast du dich mit Bathach und Moman gestritten. Worum ging es bei dem Streit?«
»Es ging um Kirchenangelegenheiten und tut nichts zur Sache.«
Fidelma zog die Stirn in Falten. »Ob es etwas zur Sache tut oder nicht, befinde ich.«
»Ich bin nicht befugt, über solche Dinge zu sprechen, junge Frau«, trumpfte der Mönch auf. »Wenn du jemand mit Befugnis zu sprechen wünschst, musst du schon Brehon Iorard rufen lassen.«
Die Arroganz des Mannes erboste Fidelma. »Ich wüsste nicht, was Brehon Iorard damit zu tun hat«, entgegnete sie scharf.
»Er ist der gesetzliche Vertreter der Abtei und wird dir schon seinen Rat erteilen.«
Fidelma konnte sich nur schwer beherrschen. »Mir seinen Rat erteilen?«, wiederholte sie seine Worte bissig. Dennoch entschloss sie sich, Iorard durch den Verwalter hereinbitten zu lassen.
Brehon Iorards Auftreten war selbstsicher, aber höflich. Ein rundlicher Mann mit breitem Lächeln, dessen salbungsvolle Begrüßung Fidelma unbeachtet ließ.
»Der Verwalter weigert sich, meine Fragen zu beantworten und behauptet, er dürfe es nicht. Er beruft sich dabei auf dich.«
Iorard würdigte Bruder Soilen keines Blickes. »Deine Fragen haben sich vermutlich auf die Abtei bezogen. In diesem Fall unterliegt er den Regeln des Klosters und darf nicht antworten.«
Fidelma kniff die Augen zusammen. »Dem Gesetz nach gibt es keine Fragen, die ich einem Zeugen, der geschworen hat, die Wahrheit zu sagen, nicht stellen dürfte«, erwiderte sie.
»In der Abtei gelten die Maßstäbe der vom Heiligen Vater aufgestellten Bußgesetze«, wies er sie mit sarkastischem Lächeln zurecht.
»Ein Mord ist geschehen, und zwar außerhalb der Abtei. Das Gesetz, das diesem Verbrechen nachgeht, ist das Gesetz dieses Landes und nicht das Regelwerk der Abtei.«
»Bruder Soilen unterliegt den Regeln der Abtei.«
»Nicht, wenn er vor einer
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steht, einer Anwältin, und geschworen hat, die Wahrheit zu sagen. Du bist Brehon nach Maßgabe eben dieser Gesetzgebung, da dürfte es sich erübrigen, dich daran zu erinnern, dass mit einer Person, die unter Eid steht, bei Verweigerung der Aussage verfahren wird, als hätte sie Meineid begangen. Und das
Din Techtugad
ist eindeutig hinsichtlich der Strafen bei Meineid. Habe ich recht?«
»So steht es im
Din Techtugad
«, meinte Iorard achselzuckend. »Aber …«
»Ausnahmen gibt es nicht«, fiel ihm Fidelma ins Wort. »Sag dem Verwalter, er habe zu antworten.«
Nachdenklich blickte Iorard sie an; es fiel ihm schwer, sich ihrer Entschiedenheit zu beugen. Schließlich wandte er sich Bruder Soilen zu und wies ihn an: »Gib die nötigen Antworten, Bruder.«
Beglückt war der Verwalter der Abtei nicht darüber. »Wie lautete die Frage?«
»Du wurdest im Streit mit Bathach und Moman bemerkt. Worüber wurde gestritten?«
»Sie schuldeten dem Kloster Geld. Sie weigerten sich, es mir auszuhändigen, obwohl man mich eigens geschickt hatte, es von ihnen abzuverlangen.«
»Weshalb hatten sie Schulden? In welcher Höhe?«
Hilfesuchend blickte Bruder Soilen zu Iorard. Der Brehon antwortete für ihn. »Sie schuldeten ihre Abgaben.«
»Abgaben?«
»Den
cís
– jeder Hausstand im Umkreis der Abtei hat dem Abt, dem Grundherren, Abgaben zu entrichten.«
Fidelma war bekannt, dass in manchen Gebieten die Äbte die Rolle von örtlichen Stammesfürsten übernommen hatten. Sie hatten sich von den Mitgliedern der Abtei auf die gleiche Art und Weise wählen lassen, wie es bei den Stammesfürsten durch die
derbhfine
, den Stammesrat, geschah. Vergleichsweise wurde die Bruderschaft einer Abtei als Großfamilie des Abts betrachtet. Noch hatte sich diese Vorgehensweise nicht in allen fünf Königreichen von Éireann durchgesetzt, aber in einigen Orten waren mächtige Äbte dabei, die Gepflogenheiten zu verändern und die Rolle von Stammesfürsten und Grundherren an sich zu ziehen. Dort, wo es geschah, hörte man, dass es zu Reibereien zwischen der Kirche und den im Klosterbereich Wohnenden kam.
»Wer ist Abt von Sláine?«, fragte Fidelma.
»Biotan.«
»Und er erlegt diesen
cís
allen auf, die im Umkreis der Abtei leben, auch
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