Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Titel: Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
Vom Netzwerk:
sagte sie.
    Als erste suchte sie Schwester Scáthach in ihrer dunklen Zelle auf. Scáthach war höchstens siebzehn Jahre alt und hatte dunkles Haar und helle Haut. Fidelma erschrak über das kränkliche Aussehen des jungen Mädchens. Dunkle Ringe lagen unter den starr blickenden Augen, als hätte Scáthach nächtelang nicht geschlafen. Das Gesicht wirkte eingefallen, die Haut straff über die hageren Züge gespannt.
    Als Fidelma in Begleitung Laisrans eintrat, saß sie auf der Bettkante, die Hände über den Knien verschränkt, starrte zu Boden und machte eher den Eindruck eines verängstigten Waisenkindes als einer Mörderin. Sie blickte nicht auf.
    Laisran blieb ein wenig irritiert an der Tür stehen, während Fidelma an der Seite des Mädchens Platz nahm. »Nun, Scáthach«, sagte sie sanft, »ich habe gehört, dass du über ungewöhnliche Kräfte verfügst.«
    Schwester Scáthach zuckte zusammen, als sie die fremde Stimme vernahm. Sie erwiderte kopfschüttelnd: »Nein, es sind keine Kräfte, wie du es nennst. Es ist ein Fluch, der mich ereilt hat.«
    »Du hast die Gabe, Prophezeiungen zu verkünden.«
    »Wer auch immer mich mit diesem Fluch belegte, kann seine ›Gabe‹ von mir aus gern wiederhaben.«
    »Warum?«
    »Es heißt, ich hätte Bruder Síoda getötet. Ich kannte ihn nicht, aber wenn es alle behaupten, dann wird es wohl so gewesen sein.«
    »Du kannst dich nicht daran erinnern?«
    »Ich kann mich an gar nichts erinnern. Ich weiß nur, dass ich zu Bett ging, einschlief und irgendwann von dem Abt und Bruder Cruinn geweckt wurde, die mich des Mordes bezichtigten.«
    »Erinnerst du dich, wie du im Refektorium seinen baldigen Tod verkündet hast?«
    Das Mädchen nickte eifrig. »Ja, das weiß ich noch genau. Aber ich habe doch nur wiederholt, was mir die Stimme zu sagen befahl.«
    »Welche Stimme?«
    »Die aus dem Jenseits. Sie spricht nachts mit mir. Wenn ich schlafe, weckt sie mich. Sie sagt mir, was ich wann verkünden soll.«
    »Hörst du die Stimme nur in der Nacht?« wollte Fidelma wissen.
    Das junge Mädchen nickte.
    »Hier in deiner Zelle? Nirgendwo anders?«
    »Nein, die Einflüsterungen höre ich nur nachts, wenn ich im Bett liege.«
    »War es die Stimme, die dir befahl, Bruder Síoda direkt anzusprechen und ihm seinen Tod vorherzusagen?«
    Das Mädchen nickte.
    »Hat sie dir auch befohlen, Gormflaith und ihr Baby zu erwähnen?«
    Wieder ein Nicken.
    »Seit wann hörst du Stimmen?«
    »Seit meiner frühesten Kindheit.«
    »Was für Stimmen sind das?«
    »Erst klangen sie wie das Rauschen der Wellen. Ich lebte mit meiner Familie am Meer, und das Meeresrauschen war mir so vertraut, dass es mich nicht erschreckte. Außerdem waren sie am Anfang sanft und leise. Dann wurden sie so laut, dass ich es kaum mehr ertrug. Meine Eltern sagten, es seien Stimmen aus dem Jenseits und dass Gott mir ein Zeichen geben wolle. Sie brachten mich in die Abtei. Obwohl es mir hier gutging, wurde es mit den Stimmen immer schlimmer. Schließlich wurde ich in diese Zelle gesperrt, wo mich Schwester Sláine betreute.«
    »Man sagte mir, dass die Stimmen gerade in der letzten Zeit aggressiver wurden. Ist das wahr?«
    »Sie wurden zum ersten Mal verständlich. Für die Worte und den Inhalt kann ich nichts. Ich gab nur wieder, was sie mir sagten.«
    »Natürlich nicht«, pflichtete ihr Fidelma beschwichtigend bei. »Aber es hat doch eine wesentliche Veränderung gegeben, nicht wahr?«
    »Ja, als ich diese Zelle bezog, wurde die Stimme immer klarer. Ich konnte jedes Wort verstehen.«
    »Mal sprichst du von einer Stimme, dann von mehreren. Wie viele waren es jetzt?«
    Schwester Scáthach überlegte. »Soviel ich weiß, nur eine.«
    »Männlich oder weiblich?«
    »Das kann ich nicht sagen. Sie hat immer geflüstert.«
    »Erzähl mir, wie es war, als du sie hörtest.«
    »Wenn ich nachts aufwachte, kam es mir vor, als wäre jemand mit mir im Raum. Das Flüstern schien aus einer Ecke der Zelle zu kommen.« Das Mädchen lächelte. »Die ersten beiden Male habe ich sogar eine Kerze angezündet und mich umgeschaut, aber als ich niemanden entdecken konnte, habe ich eingesehen, dass die Stimme in meinem Kopf sein muss, auch wenn sie klar und verständlich spricht.«
    »Was genau hat sie dir befohlen?«
    »Im Refektorium Unheilsbotschaften zu verkünden.«
    Bruder Laisran mischte sich ein. »Mal richteten sich die Botschaften gegen die ganze Gemeinschaft, mal gegen Einzelne, aber die Botschaft, die Bruder Síoda empfing, war die erste, in

Weitere Kostenlose Bücher