Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
denkst du über Schwester Scáthach?«, fragte Schwester Fidelma.
Der stämmige Gärtner schüttelte traurig den Kopf. »Sie tut mir fast ebenso leid wie Bruder Síoda. Ihn habe ich flüchtig gekannt, sie überhaupt nicht. Ich habe sie höchstens ein halbes Dutzend Male gesehen und nur einmal mit ihr gesprochen, aber nach dem, was man hört, zu urteilen, ist sie geisteskrank.«
»Glaubst du, Stimmen aus dem Jenseits haben sie dazu getrieben, Bruder Síoda zu töten?«
»Jedenfalls sollten Priester und Mediziner mit vereinten Kräften versuchen, das Böse auszutreiben, das von ihr Besitz ergriffen hat.«
»Also hältst du sie für schuldig.«
»Gibt es eine andere Erklärung?«, fragte der Gärtner verwundert.
»Wie ich höre, ist Schwester Sláine eine gute Freundin von dir.«
»Ich schmeichle mir zumindest, dass sie das ist. Ich unterhalte mich oft und gern mit ihr. Immerhin stammen wir aus demselben Dorf.«
»Hat sie mit dir über Schwester Scáthach gesprochen?«
Bruder Torchán trat von einem Fuß auf den anderen und sah Fidelma fragend an, ehe er sagte: »Ja, das eine oder andere Mal hat sie Scáthach erwähnt. Als sie ihre Betreuung übernahm, ging man davon aus, dass Scáthach unter der Krankheit leidet, die von den Apothekern als ›Tinnitus‹ bezeichnet wird, ein Rauschen in den Ohren. Bald aber berichtete Sláine, dass das Mädchen Stimmen hört, die ihr befehlen, irgendwelche Dinge zu sagen und zu tun. Offenbar ist sie nicht ganz bei Trost …«
Plötzlich fiel ihm Fidelma mit der Fragte ins Wort: »Wußtest du, dass Sláine eine Affäre mit Síoda hatte?«
»Es war mehr als eine Affäre«, sagte der Gärtner nach einem fast unmerklichen Zögern. »Die beiden wollten die Abtei verlassen, um zusammen ein neues Leben zu beginnen. Das ist nicht verboten.«
»Wie war das für dich?«
Bruder Torchán zuckte die Achseln. »Mir war das einerlei. Hauptsache, er hat sie anständig behandelt.«
»Aber du warst doch ihr Freund.«
»Ja, und ich stand ihr mit Rat und Tat zur Seite – sofern sie meinen Rat hören wollte. Sie ist ein attraktives Mädchen, das vielen Männern gefällt, manchmal auch den falschen.«
»Zu denen auch Bruder Síoda gehörte?«, wollte Fidelma wissen.
»Meiner Meinung nach schon.«
»Hat sie dir jemals etwas weitererzählt, das Síoda ihr anvertraut hatte?«
Torchán senkte verlegen den Blick. »Du sprichst von Gormflaith und dem Kind, nicht wahr? Nun, Schwester Sláine fällt es schwer, etwas für sich zu behalten. Sie hat mir das eine oder andere mitgeteilt. Aber Scáthach wusste es nicht von mir, falls du das vermutest!«
»Schon möglich, aber vielleicht bist du nicht der Einzige, dem Schwester Sláine von der Sache erzählt hat«, gab Schwester Fidelma zu bedenken.
»Ich wollte bestimmt nicht andeuten, dass sie eine Klatschbase ist. Normalerweise vertraut sie sich nur mir und Bruder Cruinn an.«
»Der Verwalter ist also auch ihr Freund?«
»Jawohl. Ich glaube, er hat sich mehr erhofft, aber dann hat sie sich in Bruder Síoda verliebt.«
Fidelma deutete ein Lächeln an. »Danke, das wäre erst mal alles, Torchán.«
Laisran folgte ihr wortlos die steinernen Stufen hinab. Schwester Fidelma blieb vor der Tür neben Scáthachs Zelle stehen. »Hier wohnt Bruder Cruinn?«
Der Abt nickte.
Bruder Cruinn, der Verwalter, war ein dünner, blasser Mann Mitte zwanzig. Er lächelte Schwester Fidelma zur Begrüßung höflich an und bemerkte: »Eine traurige Angelegenheit, überaus bedauerlich, die Sache mit Schwester Scáthach. Ich nehme an, das ist der Grund deines Besuchs?«
»Ja, das ist es.«
»Ich verstehe. Das arme, geisteskranke Kind. Ich habe dem Abt bereits vorgeschlagen, nach dem Bischof in Ferna zu schicken. Soweit ich informiert bin, kennt er ein Exorzismus-Ritual, das sich in diesem Fall als hilfreich erweisen könnte. Mit Bruder Síoda haben wir einen guten Mann verloren.«
Fidelma nahm ungebeten Platz auf dem einzigen Stuhl. »Ver loren hättet ihr ihn so oder so«, bemerkte sie trocken.
Bruder Cruinn verzog keine Miene. »Ich fürchte, ich kann dir nicht folgen, Schwester«, entgegnete er sanft.
»Und Schwester Sláine hättet ihr ebenfalls verloren. Wie wäre das für dich gewesen?«
Cruinns Lider flackerten, aber er schwieg.
»Du hast sie geliebt. Es war schrecklich für dich, als sie sich für Bruder Síoda entschied.«
Bruder Cruinn sah den Abt hilfesuchend an. Dieser aber zeigte keinerlei Reaktion, denn die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass
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