Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
versicherte Drew mit ernster Miene. »Als Konstabler habe ich freien Eintritt. Es regt meinen Geist an, mir die Stücke anzusehen.«
»Mir bietet die Wirklichkeit genügend Herausforderungen. Ich habe für Märchen nichts übrig«, erwiderte Doktor Tate knapp.
»Sagt mir doch, mein lieber Medikus, hat der Patient etwas geäußert, bevor ich kam?«
»Nichts Konkretes. Er faselte von Schlachten und dergleichen, und er sprach von Sankt Crispianus’ Fest, aber das findet ja erst im Oktober statt, also weiß ich nicht, was er damit meinte.«
Der Medikus wandte sich vom Toten ab und begann, seine kleine schwarze Tasche zu packen.
»Hier gibt es nichts mehr für mich zu tun. Der Rest ist Eure Aufgabe. Aber bevor ich gehe, werde ich mein Honorar kassieren.«
»Bedient euch«, sagte der Konstabler mit einem Seufzer. Er ließ den Blick durch die Kammer schweifen. Sie war unordentlich, fast, als hätte sie einer auf den Kopf gestellt. Er fragte den Arzt, ob jemand den Raum durchsucht habe.
»Traut Ihr mir etwa zu, nach Geld zu suchen, bevor ich für den Patienten getan habe, was ich kann?«
»Nun, irgendjemand hat etwas gesucht.«
»Allzu sorgfältig ist er nicht vorgegangen. Seht nur, auf dem Tisch liegen Perlen und Edelsteine. Anstelle einer Münze werde ich mir eine Perle nehmen.«
»Das ist aber ein gutes Geschäft«, kommentierte Drew zynisch. »Greift nur zu, ich will Euch Euer Honorar nicht streitig machen.«
Der Medikus stürzte sich auf die Perle und hielt sie ans Licht. Sein Lächeln wich der Verärgerung. Er nahm die Perle zwischen die Zähne und biss zu. Drew hörte ein scharfes Knacken, dicht gefolgt von dem empörten Ausruf des Medikus: »Verdammt, das ist ja Talmi!«
Meister Drew betrachtet die übrigen Preziosen. Auf dem Boden waren Strasssteine verstreut, die jemand offenbar mit dem Absatz zertreten hatte. Daneben lag ein kleiner lederner Geldbeutel, der eine Handvoll Münzen enthielt. Drew schüttelte sie heraus.
»Talmi hin oder her, ganz mittellos war er nicht. Insgesamt haben wir hier mehr als einen Shilling. Das wird genügen, um ihn zu begraben, falls wir keine Angehörigen finden. Und da, guter Doktor, sind drei neue Pennys für Euch.« Er lächelte säuerlich und fügte hinzu: »Ich wette, Eure Dienste sind höchstens drei Pennys wert, keinesfalls so viel wie die Perle, wäre sie echt gewesen.«
»Verdammt! Wie soll ein armer Medikus bei dem mittellosen Abschaum in diesem Bezirk genug Geld verdienen, um davon zu leben, Konstabler? Das würde ich gern von Euch wissen!« Der Medikus klaubte seine Münzen auf und verließ den Raum.
Drew blickte auf die Umrisse des Toten unter dem Laken und schüttelte traurig den Kopf. Ein gebildeter junger Mann, der aus populären Theaterstücken zitieren konnte, aber nur Kostümschmuck besaß – überaus merkwürdig! Er begann den Raum systematisch zu durchsuchen. Dabei fand er viele Kleidungsstücke, die auf den ersten Blick luxuriös wirkten, doch bei genauerer Betrachtung stellte er fest, dass sie minderer Qualität und schlecht verarbeitet waren.
Auf dem Boden lagen einige Blätter Papier. Als der Konstabler sich bückte, um sie aufzusammeln, bemerkte er unter dem Bett einen ganzen Stapel davon. Es war eine Niederschrift des Theaterstücks »König Heinrich V.« von Will Shakespeare. Jene Textpassagen, die der Darsteller König Heinrichs zu sprechen hatte, waren stellenweise unterstrichen.
»So, so, Keeling«, murmelte Drew nachdenklich vor sich hin. »Das bringt doch schon ein wenig Licht ins Dunkel, nicht wahr?«
Mit dem Theaterstück unter dem Arm verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich. Hier konnte er nichts mehr ausrichten. Der Wirt erwartete ihn am Fuß der Treppe. Er wirkte besorgt. »Der Arzt sagt, der Herr ist verstorben. Hat er gesagt, wer ihn angegriffen hat?«
»In der, Tat, Euer Gast ist tot, Herr Penhallow. Ich möchte gern kurz mit Euch über Will Keeling sprechen.« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Euer Vorname ist Pentecost, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete der Mann argwöhnisch.
»Das bedeutet ›Pfingsten‹. Eure Eltern sind wohl sehr gläubig?«
»Nicht mehr als alle anderen«, entgegnete der Mann trotzig. Dann aber schien er zu begreifen, worauf der Konstabler hinauswollte. »Pentecost ist ein ehrlicher kornischer Name«, versicherte er. »Der Mädchenname meiner Mutter.
Pen ty cos
bedeutet ›Be wohner des größten Hauses im Wald‹.«
Drew fand diese Erläuterung amüsant. »Nun, Herr Pentecost
Weitere Kostenlose Bücher