Das Flüstern des Windes (German Edition)
über ein ausgeprägtes Mienenspiel verfügen, konnte er sehen, dass unendliche Trauer in den blutroten Augen lag.
»Was kann ich für dich tun?«, fragte der Fürst freundlich. Der gemeinsame Verlust verband sie.
»Ich Crom, möchte Karem von hier fortbringen!«
»Du möchtest ihn fortbringen? Warum?«
»Ich habe meine Gründe!«
»Das kann ich nicht erlauben. Es tut mir leid, Crom! Aber seine Schwestern haben ein Anrecht auf ihn, das über deines hinausgeht.«
Ohne ein weiteres Wort verließ der Ork das Zelt.
Als die Armee sich in Bewegung setzte, war Crom verschwunden.
Canai hatte die Verletzten einfach sich selbst überlassen. Jeder, der nicht marschieren konnte, war zurückgelassen worden. Ohne Heiler, Verpflegung oder Wasser lagen die Verwundeten unter primitiven Zeltbahnen. Über der ganzen Ebene lag der Geruch von Blut und Verwesung.
Als der Fürst an der Spitze seiner Armee durch das feindliche Lager ritt, krochen die Erbarmungswürdigen aus ihren provisorischen Unterkünften hervor, jammerten und flehten um Hilfe, Nahrung und Wasser. Hunderte, viele von ihnen blutverschmiert oder verstümmelt, sammelten sich vor Ronder, streckten ihm ergeben die Hände entgegen und hofften auf seine Gnade.
Ronder ließ seine Reiter absitzen. Er befahl sämtlichen Heilern seiner Armee, sich um die Verletzten zu kümmern. Einhundert Mann wurden abgestellt, die die Zelte des Fürsten aus ihren Verschnürungen lösten und aufstellten. Sie trugen die Schwächsten der Feinde ins Trockene; wer gehen konnte, humpelte ihnen hinterher.
Holz wurde herbeigeschafft. Große Feuer entzündet.
General Sandor schickte einen Trupp hoch zur Flussbiegung und ließ die Pferdekadaver aus dem Wasser hieven.
Zwölf Köche bereiteten aus der Verpflegung der Armee in großen Eisenkesseln eine nahrhafte Suppe. Viele der Verwundeten waren zu schwach zum Essen und mussten gefüttert werden.
Als die meisten versorgt waren, trat General Sandor zu Ronder, der aus hasserfüllten Augen auf das Szenario des Schreckens blickte.
»Canai hat die Männer absichtlich in der Hoffnung zurückgelassen, dass dadurch unsere Verfolgung aufgehalten wird!«, knurrte der Fürst.
»Das denke ich auch, Herr!«, bestätigte Sandor.
»Lass das restliche Lager aufschlagen. Es wird bald dunkel werden. Wir bleiben über Nacht hier. Morgen nehmen wir die Jagd wieder auf!«
»Mein Fürst?«
»Ja?«
»Ich habe schlechte Neuigkeiten. Der Ork Crom ist verschwunden.«
Ronders Kopf ruckte herum.
»Verschwunden?«, brüllte er unbeherrscht. »Verschwunden?«
»Ja, Herr!«
»Und wie zum Teufel soll ich jetzt den Orks meine Befehle übermitteln. Karem ist tot! Crom verschwunden! Geh sofort zu Bark und versuch herauszufinden, wohin dieser verdammte Ork gegangen sein könnte!«
Sandor beugte das Haupt, dann stapfte er mit großen Schritten durch den vom Regen aufgeweichten Boden davon.
Ronder ging mit letzter Kraft in sein Zelt. Erschöpft ließ er sich auf die Liege fallen und war wenige Augenblicke später eingeschlafen.
Die beiden Reiter, die Karems Leichnam zurück nach Melwar bringen sollten, ließen ihre Pferde langsam ausschreiten. Bald würde die Nacht hereinbrechen, und da sie die Stadt nicht an diesem Tag erreichen würden, konnten sie sich getrost Zeit lassen.
Ungefähr auf der Hälfte des Weges hielten sie an. Der zugedeckte Körper des Königsohnes wurde unter eine Zeltplane gelegt, bevor sie sich daran machten, ihr eigenes Lager aufzuschlagen.
Als die Finsternis kam, entzündeten sie ein kleines Kochfeuer und bereiteten sich ein karges Mahl aus Trockenfleisch und Haferflocken. Ein leichter Wind blies und hatte die tiefhängenden Regenwolken vertrieben. Am samtschwarzen Himmel funkelten die ersten Sterne.
»Leg mehr Holz auf!«, befahl Goran seinem Kameraden.
Der kleinere Soldat bemühte sich, dieser Aufforderung schnell nachzukommen. Goran konnte sehr ärgerlich werden und neigte dann zu Gewaltausbrüchen. Als das Feuer hell aufloderte, nahm Sadan wieder Platz und starrte missmutig in die Flammen.
Plötzlich und vollkommen lautlos erschien ein gewaltiger Schatten neben dem Feuer. Goran und Sadan zuckten erschrocken zusammen, griffen dann aber zu den Waffen.
»Lasst die Waffen liegen!«, knurrte eine tiefe Stimme. Zwei blutrote Augen leuchteten in der Dunkelheit auf.
»Wer ist da?«, fragte Goran heiser.
Crom trat in den Lichtschein des Feuers. Er hatte die Unterlippe entblößt und die mächtigen Hauer lagen frei. Der Schein der
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