Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe
und damals wäre beinahe alles zu Ende gewesen, mit mir und meiner Profession. Mein Glück ist bis heute, dass meine Frau im Koma liegt und niemand sicher sagen kann, ob sie je wieder erwachen wird. Ich spielte meine Rolle des trauernden, Tod-unglücklichen Ehemannes so perfekt, dass kein Polizist auf die Idee kam, mich zu vernehmen. Um so authentisch wie möglich zu sein, besuche ich sie nun mindestens drei Mal die Woche, obwohl mir sogar nahe Freunde mittlerweile raten, wieder in die Welt hinaus zu gehen. So nennen sie die Brautschau. Doch das würde nur meine Fassade angreifen.
Zunächst zögerte ich, meinen zweiten Roman ,Das Feuer in mir' zu veröffentlichen. Niemand sollte auf die richtigen Gedanken kommen. Aber sobald er in den Buchhandlungen auslag, wurde gelobt, wie abartig nah die Darstellungen an der Realität waren. Wieder zum Glück brachte keiner zwei so offensichtliche Faktoren in seinem Gehirn zusammen.
Sich auf das Glück zu verlassen, mag verlockend sein, aber ich wusste, dass es mir nur in diesem Fall so hold gewesen war. Für meinen nächsten Roman wollte ich mich gänzlich auf meinen Geist verlassen. Nichts weiter mehr! Und er wurde mein Meisterwerk. Er ist der Grund, warum ich jetzt mein Schweigen breche. Valentin.
Mittlerweile war ich geübt im Erniedrigen und Misshandeln, in Quälerei und Morden, letzteres nur bei Tieren, und mir war es möglich, diesen Geisteszustand einer machtbesessenen, gewalttätigen Seele augenblicklich zu erreichen. Zum Schutz meiner friedliebenden Natur aber verbannte ich diesen Dämon in die hinterste Region meiner eigenen Unendlichkeit. Ich wurde gewahr, dass ich ihn nur dann wirklich verabschieden konnte, wenn ich seinen Schrecken in vollem Ausmaße wahrnahm. Bei jedem anderen, da bin ich gewiss, hätte jenes Experiment zu seiner Auslöschung geführt, in der der Dämon vollkommen die Kontrolle übernimmt. Aber ich kontrollierte ihn, denn ich hatte ihn erschaffen. In meinem Fall war Dr. Jekyll der Stärkere. Darum nur gelang mir das Meisterwerk.
Es muss jedem bewusst sein, wovon ich rede. Zur Vollendung meiner Trilogie über die grausame, menschliche Seele bedurfte es eines Mordes. Auf solch eine niederträchtige Weise, dass keiner meiner Leser annehmen konnte, dies hätte tatsächlich ein Mensch getan. In einem Zeitalter des filmisch absurd perversen Mordens stellte dies auch meine größte Herausforderung dar. Nicht gefasst zu werden, bis heute nicht, war dagegen kinderleicht. Aber der Reihe nach.
Es bedurfte für die Ausführung meiner Recherchen einer peniblen Struktur, in der jeder Schritt logisch durchdacht und perfekt geplant sein musste. Ich stieß dabei auf eine Trinität der Handlungsanweisungen, die jedem angehenden Mörder als Anleitung dienen könnte, sofern er sich vor seiner Tat überhaupt Gedanken macht. Mithilfe der vorhin erwähnten drei Tugenden ist auch der reibungslose Ablauf meiner entdeckten Struktur möglich: dem Treffen jedweder, dem Fall angepassten und notwendigen Vorbereitungen; der präzisen Durchführung der gewählten Mordmethode; und dem gänzlichen Beseitigen aller Beweise.
Ist nach diesem Prinzip erst ein ausgefeilter Plan entworfen worden, ist es äußerst wichtig, nicht mehr von ihm abzuweichen. Es sei denn, man wird äußeren Einflüssen ausgesetzt, an die vorher noch kein Gedanke verschwendet wurde. Einen guten Plan zeichnet aber aus, sowohl externe als auch interne Faktoren berücksichtigt zu haben. Mein Plan war von solch einer Brillianz, dass ich ihn nur mit meinen Handlungen zu füllen brauchte und ohne weiteres Nachdenken mich ganz den Erfahrungen hingeben konnte.
Wie für eine Kurzgeschichte aber musste ich das Ende kennen. Damit meine ich nicht, wie ich Beweise loswerden sollte, nein, sondern das Wie des Mordens. Ich legte mir detailliert zurecht, wie ich mein Opfer ermorden wollte, auch um meinen Roman planen zu können, aber noch mehr, weil sich aus dieser Entscheidung alle weiteren Schritte ergaben.
Ein Beispiel? Wollte ich ihn (oder sie) erschießen, benötigte ich eine Waffe (woher? Und später, wohin damit?). Ich müsste auch berücksichtigen, dass ein Schuss (oder mehrere) sehr gut von anderen wahrgenommen werden konnte (also wo durchführen?). Sind alle Probleme und Fragen zufriedenstellend gelöst und beantwortet, konnte man mit der Durchführung beginnen.
Für meinen Roman erdachte ich mir einen Protagonisten, der nah am Opfer sein wollte, wenn es starb. Ich hatte vor, die Essenz von Leben und Tod
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