Das Foucaultsche Pendel
besonders wenn man nicht kapierte, was es bedeutete.«
»So machen sie’s immer: Was? Ihr seid verhungert, frustriert, ausgebeutet? Verlangt nach dem Kelch des Geheimnisses! Hier, nimm...« Sie rollte mir einen Joint. »Das ist einer von den guten.«
»Siehst du, auch du willst bloß vergessen.«
»Aber ich weiß, daß es bloß Chemie ist, sonst nichts. Da ist kein Geheimnis dabei, das macht dich auch high, wenn du kein Hebräisch kannst. Komm her.«
»Warte. Danach geht dieser Rosencreutz nach Spanien, und auch da stopft er sich mit okkulten Lehren voll und nähert sich, wie es hier heißt, immer mehr und mehr dem Zentrum allen Wissens. Und im Laufe dieser Reisen, die für einen Intellektuellen damals ein echter Trip in totale Weisheit gewesen sein mußten, kapiert er schließlich, daß in Europa eine Gesellschaft gegründet werden muß, die den Re-gierenden die Wege der Weisheit und Güte weist«
»Originelle Idee. Hat sich wirklich gelohnt, soviel zu studieren. Ich möchte ‘ne frische Mamaya.«
»Sind im Kühlschrank. Sei lieb, hol sie dir selber, ich arbeite.«
»Wenn du arbeitest, bist du die Ameise, und wenn du die Ameise bist, dann sei’s auch und sorg für Nahrung.«
»Die Mamaya ist Wollust, also geht die Grille. Oder ich gehe, und du liest.«
»Cristo, nein! Ich hasse die Kultur des weißen Mannes. Ich geh schon.«
Amparo ging in die Küchenecke, und ich genoß es, sie im Gegenlicht zu begehren. Und derweilen kehrte C.R. nach Deutschland zurück, und statt sich der Umwandlung von Metallen zu widmen, was sein immenses Wissen ihm nun gestattet hätte, beschloß er, sich einer spirituellen Reformation zu verschreiben. Er gründete die Confraternitas, indem er eine magische Sprache und Schrift ersann, die als Fundament für die Weisheit der künftigen Brüder dienen sollte.
»Nicht so, du kleckerst das ganze Buch voll, steck sie mir in den Mund, nein — laß doch die Albernheiten — ja, so.
Mm, gut, diese Mamaya, rosencreutzlische Mammi-ja-ja...
Aber hör weiter, hast du das gewußt: Was die ersten Rosenkreuzer in den ersten Jahren geschrieben haben, das hätte 228
die wahrheitsbegierige Welt erleuchten können.«
»Was haben sie denn geschrieben?«
»Tja, da ist der Haken, das Manifest schweigt sich darüber aus. Erst machen sie einem den Mund wäßrig, und dann nix.
Scheint, die Sache ist furchtbar wichtig, so furchtbar wichtig, daß sie geheim bleiben muß.«
»Blöde Hunde.«
»Nicht doch, aua, laß das! Also jedenfalls diese Rosenkreuzer, wie sie sich vermehren, beschließen sie, sich in alle Him-melsrichtungen zu zerstreuen, mit der Verpflichtung, die Kranken gratis zu pflegen, keine Kleider anzuziehen, die sie kenntlich machen, sich überall den Landesbräuchen anzupassen, sich einmal im Jahr zu treffen und hundert Jahre geheim zu bleiben.«
»Entschuldige, aber was für ‘ne Reformation wollten sie denn machen, wo doch gerade erst eine gewesen war? Was war denn Luther für sie, bloß ‘n Dreck?«
»Nein, das war doch alles noch vor der protestantischen Reformation. Hier steht in einer Fußnote, bei aufmerksamer Lektüre der Fama und der Confessio ist zu entnehmen...«
»Von wem?«
»Wenn etwas zu entnehmen ist, ist es zu entnehmen. Egal von wem. Von der Vernunft, vom gesunden Menschenverstand... He, was hast du denn? Wir reden von den Rosenkreuzern, das ist ‘ne ernsthafte Sache...«
»Ach ja?«
»Also, wie zu entnehmen ist, wird der Rosencreutz 1378
geboren und stirbt 1484 im schönen Alter von hundertsechs Jahren, und so ist es nicht schwer zu erraten, daß die geheime Brüderschaft nicht wenig zu jener Reformation beigetragen hat, die 1615 ihr hundertjähriges Jubiläum beging. Zumal auch Luther in seinem Wappen eine Rose und ein Kreuz hatte.«
»Wie einfallsreich.«
»Was willst du, sollte Luther vielleicht eine brennende Giraffe oder eine zerfließende Uhr in sein Wappen tun? Jeder ist ein Kind seiner Zeit. Ich habe kapiert, wessen Sohn ich bin, also sei still und laß mich weiterlesen. Um 1604 finden die Rosenkreuzer, während sie einen Teil ihres geheimen Palastes oder Schlosses restaurieren, einen Stein mit einem großen Nagel drin. Sie ziehen den Nagel raus, ein Teil der 229
Mauer fällt runter, es erscheint eine Tür, und auf der steht in großen Lettern geschrieben: POST CXX ANNOS PATEBO...«
Obwohl ich die Formel aus dem Brief von Belbo kannte, rief ich unwillkürlich: »Mein Gott!«
»Was ist?«
»Das klingt ja wie ein Dokument der Templer, das
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