Das Foucaultsche Pendel
daraufbringst.. Schauen wir mal: Matthäus, Lukas, Markus und Johannes sind eine Bande von Spaßvögeln, die sich irgendwo zusammentun und beschlie-
ßen, einen Erzählwettbewerb zu veranstalten. Sie erfinden einen Typ, legen ein paar essentielle Daten fest, und los geht’s, den Rest kann jeder frei ausgestalten, mal sehen, wer’s am besten macht. Dann landen die vier Erzählungen in den Händen von Freunden, die anfangen, sie gelehrt zu interpretieren: Matthäus ist ziemlich realistisch, aber er insistiert zu sehr auf der Geschichte mit dem Messias, Markus ist nicht schlecht, aber ein bißchen konfus, Lukas ist elegant, das muß man ihm lassen, Johannes übertreibt es mit der Philosophie... Aber alles in allem gefallen die Bücher, sie gehen von Hand zu Hand, und als die vier merken, was los ist, ist es zu spät — Paulus ist Jesus schon auf dem Weg nach Damaskus begegnet, Plinius beginnt seine Untersuchung im Auftrag des besorgten Kaisers, eine Legion von apokryphen Autoren gibt vor, noch mehr darüber zu wissen... toi, apocry-phe lecteur, mon semblable, mon frère...* Petrus steigt die Sache
* du, apokrypher Leser, meinesgleichen, mein Bruder (vgl. Baudelaire: hypocrite lecteur, mon semblable, mon frère).
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zu Kopf, er nimmt sich ernst. Johannes droht, die Wahrheit zu sagen, Petrus und Paulus lassen ihn verhaften und ver-bannen ihn auf die Insel Patmos, der Ärmste fängt an, weiße Mäuse zu sehen, beziehungsweise Heuschrecken auf der Bettkante — bringt endlich diese Posaunen zum Schweigen, woher kommt all dieses Blut.. Die andern sagen, er wäre betrunken, es sei die Verkalkung... Und wenn es nun wirklich so gelaufen wäre?«
»Es ist so gelaufen. Lies mal Feuerbach statt deiner alten Schwarten.«
»Amparo, es dämmert schon.«
»Wir sind verrückt.«
»Aurora, die rosenkreuzfingrige, streichelt zärtlich über die Wogen...«
»Ja, gut so. Es ist Yemanjá. Fühlst du? Sie kommt.«
»Mach mir ludibria...«
»O Tintinnabulum!«
»Du bist meine Atalanta Fugiens...«
»O Turris Babel...«
»Ich will die Arcana Arcanissima, das Goldene Vlies, bleich und rosa wie eine Meeresmuschel...«
»Psst... Silentium post clamores.«
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Il est probable que la plupart des prétendus Rose-Croix, communément désignés comme tels, ne
furent véritablement que des Rosicruciens... on peut même être assuré qu’ils ne l’étaient point, et cela du seul fait qu’ils faisaient partie de telles associations, ce qui peut sembler paradoxal et
même contradictoire à première vue, mais est
pourtant facilement compréhensible...*
René Guénon, Aperçus sur finitiation, Paris, Editions Traditi-onnelles, 1986, p. 241
Wir fuhren zurück nach Rio, und ich begann wieder zu arbeiten. Eines Tages entnahm ich einer Illustrierten, daß es in der Stadt einen »Alten und Angenommenen Orden vom Rosenkreuz« gab. Ich schlug Amparo vor, uns den einmal anzusehen, und sie folgte mir widerwillig.
Die Adresse war in einer Nebenstraße, außen befand sich eine Vitrine mit Gipsfiguren, die Cheops, Nofretete und die Sphinx darstellten.
Gerade für diesen Nachmittag war eine Plenarsitzung an-beraumt. Thema: »Die Rosenkreuzer und der Umbanda.«
Redner ein gewisser Professor Bramanti, Referendar des Ordens in Europa, Geheimer Ritter des Großpriorats In Partibus von Rhodos, Malta und Thessaloniki.
Wir beschlossen hineinzugehen. Die Räumlichkeit wirkte eher verwahrlost, ein karger Saal, dekoriert mit tantrischen Miniaturen, auf denen die Schlange Kundalini zu sehen war, dieselbe, welche die Templer mit dem Kuß auf den Hintern zu wecken gedachten. Wozu den Atlantik überqueren, dach-
* Es ist wahrscheinlich, daß die Mehrheit der vorgeblichen [echten und alten]
Rosenkreuzer, die gemeinhin als solche bezeichnet werden, in Wahrheit bloß [späte und falsche] Rosenkreuzer waren... Man kann sogar sicher sein, daß sie in keiner Weise echt waren, aus dem einfachen Grunde, daß sie zu solchen Vereinigungen gehörten, was auf den ersten Blick paradox erscheinen mag, aber dennoch leicht zu verstehen ist...
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te ich, um eine neue Welt zu entdecken, wenn ich dieselben Dinge auch im Büro von Picatrix hätte finden können.
Hinter einem mit rotem Tuch verhängten Tisch und vor einem eher dünn gesäten und schläfrigen Publikum saß der Professor Bramanti, ein korpulenter Herr, der, wäre er nicht so massig gewesen, leicht als Tapir hätte durchgehen können. Er hatte schon angefangen zu reden, mit vollmundiger Rhetorik,
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