Das Foucaultsche Pendel
des Staates. Und eine geheime poetische Ader, nicht wahr? Zeigen Sie, zeigen Sie mir den Schatz, den Sie da in Händen halten... Hier stelle ich Ihnen zwei meiner Generaldirektoren vor.«
Er ließ ihn vor dem mit Manuskripten übersäten Schreibtisch Platz nehmen und streichelte mit vor Begierde zitternden Fingern den Umschlag des Werkes, das ihm vorgelegt wurde: »Nein, sagen Sie nichts, ich weiß bereits alles. Sie kommen aus Vipiteno, der großen und noblen Grenzstadt.
Ein Leben im Dienste der Zollverwaltung. Und im geheimen, Tag für Tag, Nacht für Nacht diese Seiten, erregt vom Dämon der Poesie. Ah, die Poesie... Sie verbrannte die Jugend Sapphos, sie nährte das Alter Goethes... Pharmakon, sagten die alten Griechen: Gift und Medizin. Natürlich werden wir es zuerst lesen müssen, dieses Ihr Werk, ich pflege mindestens drei Gutachten einzuholen, eins aus dem Hause und zwei von unseren Außenberatern (die leider anonym bleiben müssen, Sie werden verstehen, es handelt sich um sehr exponierte Personen), der Verlag Manuzio bringt kein Buch heraus, wenn er sich dessen Qualität nicht sicher ist, und Qualität, das wissen Sie besser als ich, ist etwas Ungreifbares, man muß sie mit einem sechsten Sinn erspüren, manchmal hat ein Buch gewisse Imperfektionen, Mängel —
auch Svevo schrieb schlecht, wem sage ich das —, doch bei Gott, man spürt eine Idee, einen Rhythmus, eine Kraft! Ich 289
weiß es, sagen Sie nichts, kaum habe ich einen Blick auf das Incipit dieses Ihres Werkes geworfen, habe ich etwas ge-spürt, aber ich will nicht alleine urteilen, auch wenn so oft —
ach, wie so oft! — die Gutachten lau waren, aber ich habe mich versteift, denn man kann einen Autor nicht verurteilen, ohne sich auf ihn eingelassen zu haben, ja gleichsam in inneren Einklang mit ihm getreten zu sein, hier zum Beispiel, ich schlage aufs Geratewohl diesen Ihren Text auf, und mein Blick fällt auf einen Vers: ›wie im Herbst, die abgema-gerten Wimpern‹ — gut, ich weiß noch nicht, wie es weiter-geht, aber ich spüre da einen Anhauch, erfasse ein Bild, manchmal ist das der erste Einstieg in einen Text, eine Ekstase, eine Verzückung... Dies vorausgeschickt, lieber Freund
— ah, bei Gott, wenn man könnte, wie man wollte! Aber auch das Verlagswesen ist eine Industrie, die edelste unter den Industrien, aber doch eine Industrie, Wissen Sie, was heutzutage der Druck kostet, und das Papier? Sehen Sie, sehen Sie hier in der Zeitung von heute, wie hoch die prime rate in Wallstreet gestiegen ist! Das betreffe uns nicht, meinen Sie? Und wie uns das betrifft! Wissen Sie, daß man uns sogar das Lager besteuert? Ich verkaufe nichts, und die be-steuern sogar noch die Remittenden. Ich bezahle auch den Mißerfolg, den Leidensweg des Genies, das die Philister nicht erkennen. Dieses Seidenpapier — es ist wirklich sehr fein, und gestatten Sie: gerade daran, daß Sie Ihren Text auf so dünnes Papier getippt haben, erkennt man den Dichter, ein beliebiger Schwätzer hätte ein extradickes Papier genommen, um das Auge zu blenden und den Geist zu benebeln, aber dies hier ist mit dem Herzen geschriebene Poesie, nicht wahr, die Worte sind Steine und erschüttern die Welt —, dieses Seidenpapier kostet mich soviel wie Banknotenpa-pier.«
Das Telefon klingelte. Wie ich später erfuhr, hatte Garamond auf einen Knopf unter dem Schreibtisch gedrückt, und die Signora Grazia hatte ihm einen fingierten Anruf durch-gestellt.
»Verehrtester Meister! Was sagen Sie? Wie schön! Große Neuigkeiten, man läute die Glocken! Ein neues Buch von Ihnen ist stets ein Ereignis. Aber gewiß, Manuzio ist stolz, ist bewegt, ich sage noch mehr, ist froh, Sie unter seinen Autoren zu wissen. Haben Sie gelesen, was die Zeitungen über 290
Ihre letzte epische Dichtung geschrieben haben? Nobelpreis-würdig! Leider sind Sie der Zeit voraus. Wir haben mit Mühe dreitausend Exemplare verkauft...«
Der Commendator De Gubernatis erbleichte: dreitausend Exemplare waren für ihn ein unverhofft hohes Ziel.
»Der Verkauf hat die Produktionskosten nicht gedeckt.
Schauen Sie nur einmal hinter die Glastür, wie viele Angestellte ich beschäftige. Heutzutage muß ich von einem Buch, um auf meine Kosten zu kommen, mindestens zehntausend Exemplare absetzen, und zum Glück kann ich von vielen auch mehr verkaufen, aber das sind Schriftsteller mit einer, wie soll ich sagen, anderen Berufung. Balzac war groß und verkaufte seine Bücher wie warme Semmeln, Proust war ebenso groß und
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