Das Foucaultsche Pendel
mit Foto des Autors und wenigen einprägsamen Zeilen: »Eine der exzellentesten Stimmen unserer Dichtung« oder: »Der neue Beweis für das erzählerische Talent des Autors von Floriana und ihre Schwestern«.
»An diesem Punkt ist das Netz gespannt«, erklärte Belbo,
»und die AEKs fallen traubenweise darauf herein, wenn man traubenweise auf ein Netz hereinfallen kann, aber die verun-glückte Metapher ist typisch für die Autoren von Manuzio, und ich habe die schlechte Angewohnheit übernommen, entschuldigen Sie.«
»Und dann?«
»Nehmen Sie den Fall De Gubernatis. In einem Monat, wenn unser Pensionär sich vor lauter Ungeduld schon verzehrt, wird Signor Garamond ihn anrufen und zu einem Abendessen mit einigen Schriftstellern einladen. Rendezvous in einem arabischen Restaurant, sehr exklusiv, ohne Firmenschild draußen: man läutet und sagt seinen Namen vor einem Guckloch, innen luxuriöses Ambiente, diffuses Licht, exotische Musik. Garamond drückt dem Chefkoch die Hand, duzt die Kellner und schickt den Wein zurück, weil ihn der Jahrgang nicht überzeugt, oder er sagt, entschuldige, mein Lieber, aber das ist nicht der Couscous, den man in 294
Marrakesch ißt. De Gubernatis wird dem Kommissar Hinz vorgestellt, alle Flughafendienste unterstehen ihm, aber vor allem ist er der Erfinder und Apostel des Cosmoranto, der Sprache für den Weltfrieden, die gerade in der Unesco diskutiert wird. Dann dem Professor Kunz, starke Erzählerna-tur, Gewinner des Premio Petruzzellis della Gattina 1980, aber auch eine Leuchte der medizinischen Wissenschaft. Wie viele Jahre haben Sie gelehrt, Herr Professor? Andere Zeiten, ja damals, da waren die Studien noch eine ernsthafte Sache.
Und last but not least hier unsere exquisite Dichterin, die char-mante Olinda Mezzofanti Sassabetti, Autorin von Keusche Herzensregungen, haben Sie sicher gelesen.«
Belbo gestand mir, daß er sich lange gefragt hatte, warum die weiblichen AEKs immer mit zwei Nachnamen firmier-ten, Lauretta Solimeni Calcanti, Dora Ardenzi Fiamma, Carolina Pastorelli Cefalù. Warum haben bedeutende Schrift-stellerinnen nur einen Nachnamen, außer Ivy Compton-Bur-nett, und einige nicht mal einen Nachnamen, wie Colette, während eine AEK sich Odolinda Mezzofanti Sassabetti nennt? Weil ein wahrer Schriftsteller aus Liebe zu seinem Werk schreibt und es ihm nichts ausmacht, unter einem Pseudonym bekannt zu sein, siehe Nerval, während ein AEK
von seinen Nachbarn wiedererkannt werden möchte, von den Leuten in seinem Viertel und in dem, wo er früher gewohnt hat. Dem Mann genügt sein Name, der Frau nicht, weil es Leute gibt, die sie als Mädchen gekannt haben, und solche, die sie als Verheiratete kennen. Deswegen benutzt sie zwei Namen.
»Kurz, ein Abend prall voll intellektueller Erfahrungen.
De Gubernatis kommt sich vor, als schluckte er einen LSD-Cocktail. Er lauscht dem Geschwätz der Tischgenossen, der geschmackvollen Anekdote über den großen Poeten mit seiner notorischen Impotenz, der auch als Poet nicht viel tauge, er wirft vor Erregung glänzende Blicke auf die neue Ausgabe der Enzyklopädie der berühmten Italiener, die Garamond überraschend hervorzieht, um die betreffende Seite dem Kommissar zu zeigen (haben Sie gesehen, mein Lieber, auch Sie sind jetzt im Pantheon, oh, es gibt noch Gerechtigkeit!).«
Belbo zeigte mir die Enzyklopädie. »Vor einer Stunde habe ich Ihnen eine Gardinenpredigt gehalten, aber niemand ist unschuldig. Die Enzyklopädie machen Diotallevi und ich 295
ganz allein. Aber ich schwöre Ihnen, nicht um unser Gehalt aufzubessern. Es ist eine der amüsantesten Sachen der Welt, und jedes Jahr muß die aktualisierte Neuausgabe gemacht werden. Die Struktur ist mehr oder weniger diese: Ein Artikel verweist auf einen berühmten Autor, einer auf einen AEK, und das Problem ist nur, die alphabetische Ordnung gut auszutarieren und nicht zuviel Platz für die berühmten Autoren zu verschwenden. Sehen Sie hier zum Beispiel den Buchstaben L.«
LAMPEDUSA, Giuseppe Tomasi di (1896-1957). Sizilianischer Schriftsteller. Lebte lange Zeit unbekannt und wurde erst nach seinem Tod berühmt durch den Roman Der Leopard.
LAMPUSTRI, Adeodato (*1919). Schriftsteller, Pädagoge, Front-kämpfer (Bronzemedaille in Ostafrika), Denker, Erzähler und Dichter. Seine Gestalt ragt hoch empor in der italienischen Literatur unseres Jahrhunderts. L. offenbarte sich bereits 1959 mit dem ersten Band einer großangelegten Trilogie, Die Brüder Caramas-si, einer mit krudem
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