Das Foucaultsche Pendel
umgedrehtes Fernglas gesehen erschien. Garamond winkte uns, näher zu treten, und ich fühlte mich eingeschüchtert. Später, beim Eintritt von De Gubernatis, sollte Garamond sich erheben und ihm entgegengehen, und diese Geste der Herzlichkeit sollte ihm noch mehr Charisma verleihen, denn der Besucher würde erst ihn durch den Saal auf sich zukommen sehen und dann selbst den Saal am Arm des Hausherrn durchschreiten, so daß der Raum sich wie durch Zauberei verdoppelte.
Garamond ließ uns vor seinem Schreibtisch Platz nehmen und war zugleich brüsk und herzlich. »Doktor Belbo hat mir viel Gutes von Ihnen erzählt, Doktor Casaubon. Wir brauchen tüchtige Mitarbeiter. Wie Sie gewiß begriffen haben, handelt es sich nicht um eine Festanstellung, die können wir uns nicht leisten. Sie erhalten eine angemessene Entschädigung für Ihren Eifer, für Ihre Hingabe, wenn Sie mir den Ausdruck gestatten, denn unsere Arbeit ist eine Mission.«
Er nannte mir eine Pauschalsumme für die veranschlagten Arbeitsstunden, die mir damals vernünftig erschien.
»Na bestens, lieber Casaubon.« Er hatte den Titel wegge-lassen, da ich nun in seinen Diensten stand. »Diese Geschichte der Metalle muß ganz prachtvoll werden, ich sage noch mehr, wunderschön. Populär, verständlich, aber wissenschaftlich exakt. Sie muß die Phantasie des Lesers packen, aber auf wissenschaftliche Weise. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Hier in den ersten Fahnen lese ich, daß es da diese Kugel von Magdeburg gab oder wie sie heißt, zwei zusam-287
mengefügte Halbkugeln, aus deren Innern die Luft abge-pumpt wird, so daß ein Vakuum entsteht. Dann werden zwei starke Pferdegespanne davorgespannt, eins auf der einen und eins auf der anderen Seite, die mit aller Kraft eins nach der einen und eins nach der anderen Seite ziehen, und die beiden Halbkugeln bleiben zusammen. Gut, das ist eine wissenschaftliche Information. Aber die müssen Sie mir aus all den anderen, weniger pittoresken heraussuchen. Und wenn Sie sie herausgesucht haben, müssen Sie mir das passende Bild dazu finden, das Fresko, das Ölgemälde, gleichviel. Aus der Epoche. Und dann knallen wir’s groß auf die ganze Seite, in Farbe.«
»Es gibt einen Stich«, sagte ich, »den kenne ich.«
»Sehen Sie? Bravo. Auf die ganze Seite, in Farbe.«
»Wenn’s ein Stich ist, wird es schwarzweiß sein.«
»So? Na gut, also dann schwarzweiß. Exaktheit ist Exaktheit. Aber auf Goldgrund, es muß den Leser frappieren, es muß ihm das Gefühl geben, selber dabeigewesen zu sein, an jenem Tage in Magdeburg, als sie das Experiment gemacht haben. Klar? Wissenschaftlichkeit, Realismus, Leidenschaft!
Man kann die Wissenschaft sehr wohl benutzen und den Leser trotzdem im Innersten packen. Gibt es etwas Theatralischeres, Dramatischeres als Madame Curie, die abends nach Hause kommt und im Dunkeln ein phosphoreszieren-des Licht glimmen sieht, mein Gott, was mag das wohl sein...
Es ist der Kohlenwasserstoff, die Golkonda, das Phlogiston oder wie zum Teufel das heißt, und voilà, Marie Curie hat die Radioaktivität erfunden. Dramatisieren! Bei allem Respekt vor der Wahrheit.«
»Kommt denn die Radioaktivität bei den Metallen mit rein?« fragte ich.
»Ist das Radium kein Metall?«
»Ich glaube schon.«
»Na bitte. Unter dem Gesichtspunkt der Metalle kann man das ganze Universum des Wissens betrachten. Wie haben wir das Buch zu nennen beschlossen, Belbo?«
»Wir dachten an einen seriösen Titel, wie Die Metalle und die materielle Kultur.«
»Und seriös muß er auch sein. Aber mit jenem zusätzlichen Appeal, jenem Nichts, das alles sagt, warten Sie... Ja, so: Universalgeschichte der Metalle. Sind da auch die Chinesen 288
mit drin?«
»Ja, auch.«
»Also universal. Das ist kein Werbetrick, das ist die reine Wahrheit. Oder warten Sie, besser noch: Das wunderbare Abenteuer der Metalle.«
In diesem Augenblick kam die Signora Grazia herein und meldete, der Commendator De Gubernatis sei da. Garamond zögerte einen Moment und sah mich zweifelnd an, doch Belbo nickte ihm zu, wie um zu sagen, er könne sich nunmehr auf mich verlassen. Garamond ließ den Besucher eintreten und ging ihm entgegen. De Gubernatis kam im dunklen Zweireiher, hatte ein Abzeichen im Knopfloch, einen Füllfederhalter in der Brusttasche, eine gefaltete Zeitung in der Jackentasche und eine Mappe unter dem Arm.
»Mein lieber Commendatore, machen Sie sich’s bequem, unser lieber Freund De Ambrosiis hat mir von Ihnen erzählt, ein Leben im Dienste
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