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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Gualdi schickte — wie er’s mit dem Oberst Ardenti versucht hatte.
    Ich hatte mich oft gefragt, während ich mit ihm arbeitete, warum er diese Situation akzeptierte. Sicher nicht wegen des Geldes. Er verstand sein Metier gut genug, um eine besser bezahlte Arbeit zu finden.
    Lange dachte ich, daß er es deshalb täte, weil er auf diese Weise seine Studien über die menschliche Torheit betreiben konnte, und zwar in einem exemplarischen Observatorium.
    Was er Dummheit nannte, der unangreifbare Paralogismus, der hinterlistige Wahn, verkleidet als makellose Argumentation, das faszinierte ihn und er wiederholte immerzu, daß es ihn faszinierte. Aber auch das war nur eine Maske. Wer aus Spiellust mitgemacht hatte, war Diotallevi gewesen, vielleicht in der Hoffnung, daß sich ihm eines Tages in einem Buch von Manuzio eine unerhört neue Kombination der Torah offenbaren würde. Und aus Jux, zum puren Vergnü-
    gen, aus Spottlust und Neugier hatte ich bei dem Spiel mitgemacht, besonders nachdem Garamond das Hermes-Projekt lanciert hatte.
    Für Belbo lag die Sache anders. Das ist mir jedoch erst jetzt klar geworden, nachdem ich in seinen files gekramt habe.
    Filename: Rache furchtbare Rache
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    Sie kommt einfach so. Auch wenn Leute im Büro sind: packt mich am Rockkragen, streckt das Gesicht vor und küßt mich. Anna che quando bacia sta in punta di piedi.* Sie küßt mich, als ob sie flippert.
    Dabei weiß sie, daß sie mich verlegen macht. Aber sie will mich vorführen.
    Sie lügt nie.
    — Ich liebe dich.
    — Sehen wir uns Sonntag?
    — Nein, ich bin am Wochenende mit einem Freund...
    — Du meinst einer Freundin.
    — Nein, einem Freund, du kennst ihn, es ist der, der neulich mit mir in der Bar war. Ich hab’s ihm versprochen, du willst doch nicht, daß ich ‘n Rückzieher mache.
    — Mach keinen, aber komm nicht, um mir... Nein, bitte, draußen wartet ein Autor.
    — Ein Genie zum Lancieren?
    — Ein Wurm zum Zertreten.
    Ein Wurm zum Zertreten.
    Ich war gekommen, dich bei Pilade abzuholen. Du warst nicht da.
    Habe lange auf dich gewartet, dann bin ich allein hingegangen, sonst wäre die Galerie schon geschlossen gewesen. Jemand dort sagte mir, ihr wärt schon ins Restaurant vorgegangen. Ich tat, als betrachtete ich die Bilder — die Kunst ist tot seit den Zeiten Höl-derlins, sagen sie mir. Ich brauchte zwanzig Minuten, um das Restaurant zu finden, weil die Galeristen immer die auswählen, die erst nächsten Monat berühmt werden.
    Du warst da, mitten unter den üblichen Gesichtern, und neben dir hattest du den Mann mit der Narbe. Du warst keinen Moment verlegen. Hast mich komplizenhaft angesehen und — wie machst du das gleichzeitig? — herausfordernd, als wolltest du sagen: na und? Der Eindringling mit der Narbe musterte mich wie einen Eindringling. Die anderen auf dem laufenden über alles, abwar-tend. Ich hätte einen Vorwand zum Streit suchen sollen. Wäre in jedem Fall hinterher gut dagestanden, auch wenn er mich geschlagen hätte. Alle wußten, daß du mit ihm dort warst, um mich zu
    * Anna, die sich zum Küssen auf die Zehenspitzen stellt (ein italienischer Schlager aus den sechziger Jahren).
    302
    provozieren. Ob ich nun provozierte oder nicht, meine Rolle war festgelegt. Ich gab in jedem Fall ein Schauspiel.
    Ein Schauspiel ist so gut wie das andere, ich wählte die brillante Komödie, beteiligte mich liebenswürdig an der Konversation, in der Hoffnung, jemand würde meine Selbstkontrolle bewundern.
    Der einzige, der mich bewunderte, war ich.
    Man ist feige, wenn man sich feige fühlt.
    Der maskierte Rächer. Wie Clark Kent pflege ich die jungen unverstandenen Genies, und wie Superman bestrafe ich die zu Recht unverstandenen alten. Ich kollaboriere beim Ausbeuten derer, die nicht meinen Mut hatten und sich nicht mit der Rolle des Zuschauers zu begnügen wußten.
    Ist das eine Möglichkeit? Das Leben damit zu verbringen, diejenigen zu bestrafen, die niemals wissen werden, daß sie bestraft worden sind? Wolltest du Homer werden? Nimm, Bettler, und glaub daran.
    Ich hasse Leute, die versuchen, mir eine Illusion von Leidenschaft zu verkaufen.
    303

41
    Erinnern wir uns, daß Daath an dem Punkt liegt, wo der Abgrund den Mittelpfeiler durchschnei-det, und daß oben auf dem Mittelpfeiler der Pfad des Pfeils ist... und daß hier auch Kundalini ist, so sehen wir, daß in Daath sowohl das Geheimnis der Zeugung wie das der Wiedererzeugung
    liegt, der Schlüssel zur Manifestation aller Dinge durch die Differenzierung der

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