Das Foucaultsche Pendel
Gelegenheit, um zur Sache zu kommen. Er sagte ihm, der Verlag Garamond habe die Absicht, einige wenige Bücher pro Jahr herauszubringen, deren Charakter, so sagte er, esoterisch sein solle.
»Oh, esoterisch«, lächelte Agliè, und Belbo errötete.
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»Sagen wir... hermetisch?«
»Oh, hermetisch«, lächelte Agliè.
»Na gut«, meinte Belbo, »vielleicht gebrauche ich die falschen Termini, aber sicher verstehen Sie das Genre.«
»Oh«, lächelte Agliè erneut. »Das ist kein Genre. Es ist das Wissen. Sie wollen eine Sammlung des nicht-degenerierten Wissens herausbringen. Vielleicht ist es für Sie nur eine ver-legerische Entscheidung, aber wenn ich mich darum kümmern soll, wird es für mich eine Suche nach Wahrheit sein, eine queste du Graal.«
Belbo gab zu bedenken, so wie der Fischer sein Netz auswerfe und damit auch leere Muscheln und Plastiktüten ein-fangen könne, so würden bei Garamond sicher auch viele Manuskripte von zweifelhafter Seriosität eintreffen, und daher suche man einen strengen Leser mit der Fähigkeit, die Spreu vom Weizen zu trennen und dabei auch die Kuriositä-
ten zu signalisieren, denn es gebe da einen befreundeten Verlag, der dankbar wäre, wenn einige Autoren von minderer Dignität zu ihm umgeleitet würden... Natürlich gelte es auch, eine angemessene Entschädigung festzusetzen.
»Dank dem Himmel bin ich das, was man gemeinhin wohl-habend nennt. Wohlhabend und wißbegierig und sogar ein wenig beschlagen. Es genügt mir, im Laufe meiner Erkundungen auf ein weiteres Exemplar von Khunrath zu stoßen, oder auf einen weiteren schön einbalsamierten Salamander, oder auch auf das Horn eines Narwals (das ich mich schä-
men würde, in meiner Sammlung zu haben, das aber selbst der Wiener Kronschatz als das Horn eines Einhorns ausstellt), und ich verdiene mit einer kleinen und angenehmen Transaktion mehr, als Sie mir in zehn Jahren Beratertätigkeit zahlen könnten. Ich werde Ihre Manuskripte im Geiste der Demut durchsehen. Ich finde gewiß auch im allerfadesten Text noch einen Funken, wenn nicht von Wahrheit, so doch von bizarrer Lüge, und oftmals berühren sich die Extreme.
Langweilen werden mich nur die Selbstverständlichkeiten, und für diese Langeweile können Sie mich entschädigen.
Nach Maßgabe der Langeweile, die ich empfunden habe, schicke ich Ihnen am Jahresende eine kleine Rechnung, die sich in den Grenzen des Symbolischen halten wird. Wenn Sie Ihnen zu hoch erscheint, schicken Sie mir eine Kiste guten Weines.«
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Belbo war perplex. Er war es gewohnt, mit lamentierenden und geldgierigen Beratern zu verhandeln. Er öffnete die Ak-tenmappe, die er mitgebracht hatte, und entnahm ihr ein umfangreiches Manuskript.
»Ich hoffe, Sie machen sich nicht zu optimistische Vorstellungen. Sehen Sie sich zum Beispiel dies hier an, das mir typisch für den Durchschnitt erscheint.«
Agliè schlug das Manuskript auf: »Die geheime Sprache der Pyramiden... Schauen wir mal ins Inhaltsverzeichnis...
Das Pyramidion... Der Tod des Lord Carnavon... Das Zeugnis Herodots...« Er klappte es wieder zu. »Haben Sie das gelesen?«
»Rasch überflogen, in den letzten Tagen«, sagte Belbo.
Agliè gab ihm das Manuskript zurück »Nun gut, bestätigen Sie mir, ob mein Resümee korrekt ist.« Er setzte sich hinter den Schreibtisch, steckte die Hand in seine Westentasche, zog das Pillendöschen hervor, das ich schon in Brasilien gesehen hatte, drehte es in seinen schmalen gepflegten Fingern, die eben noch seine Lieblingsbücher gestreichelt hatten, hob die Augen zu den Deckengemälden und schien einen Text zu rezitieren, den er seit langem kannte.
»Der Autor dieses Buches müßte daran erinnern, daß 1864
Piazzi Smyth die heiligen und esoterischen Maße der Pyramiden entdeckte. Erlauben Sie mir, nur die abgerundeten ganzen Zahlen zu nennen, in meinem Alter beginnt die Erinnerung etwas nachzulassen... Es ist singulär, daß ihre Basis ein Quadrat bildet, dessen Seite 232 Meter mißt. Die Höhe war ursprünglich 148 Meter. Rechnen wir das in heilige ägyptische Ellen um, so haben wir eine Basis von 366 Ellen, also die Anzahl der Tage eines Schaltjahres. Für Piazzi Smyth ergibt die Höhe multipliziert mit zehn hoch neun die Entfernung Erde-Sonne: 148 Millionen Kilometer. Eine gute Annäherung für jene Zeit, wenn man bedenkt, daß die Entfernung heute auf 149,5 Millionen berechnet wird, und es ist nicht gesagt, daß die Modernen recht haben. Die Basis geteilt durch die Breite eines ihrer
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