Das Foucaultsche Pendel
ein Hundertmilliardstel der Entfernung von der Erde zur Sonne. Die Höhe der Rückwand geteilt durch die Breite des Fensters ergibt 176 : 56 = 3,14, die Zahl ð. Die vordere Höhe beträgt 19 Dezimeter, soviel wie die Zahl der Jahre des griechischen Mondzyklus. Die Summe der Höhen der beiden vorderen und der beiden hinteren Kanten macht 190 x 2 +
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176 x 2 = 732, das Datum der Schlacht von Poitiers. Die Dicke des Bodens beträgt 3,10 Zentimeter und die Breite des Fen-sterrahmens 8,8 Zentimeter. Ersetzt man die Zahlen vor dem Komma durch die entsprechenden Buchstaben des Alphabets, so erhält man C H , die Formel des Naphthalins.«
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»Phantastisch«, sagte ich, »haben Sie das gemessen?«
»Nein«, sagte Agliè. »Das hat ein gewisser Jean-Pierre Adam an einem anderen Kiosk getan. Ich nehme an, daß alle Kioske der staatlichen Lotterie mehr oder minder dieselben Maße haben. Mit den Zahlen kann man machen, was man will. Wenn ich die heilige Zahl 9 habe und will auf 1314
kommen, das Datum des Märtyrertodes von Jacques de Molay — ein teures Datum für jeden, der sich, wie ich, der Tradition des Tempelrittertums verpflichtet weiß —, was tue ich dann? Ich multipliziere mit 146, dem Schicksalsdatum der Zerstörung Karthagos. Wie bin ich zu dem Ergebnis gekommen? Ganz einfach, ich habe 1314 durch zwei, durch drei und so weiter geteilt, bis ich auf ein befriedigendes Datum gestoßen bin. Ich hätte auch 1314 durch 6,28 teilen können, das Doppelte von 3,14, und wäre auf 209 gekommen.
Und was ist 209? Das Jahr der entscheidenden Wende des Zweiten Punischen Krieges. Zufrieden?«
»Demnach glauben Sie an keinerlei Zahlenkunde?« fragte Diotallevi enttäuscht.
»Ich? Ich glaube fest daran, ich glaube, daß das Universum ein wunderbares Konzert von Zahlenkorrespondenzen ist und daß die Lektüre der Zahl und ihre symbolische Deutung ein privilegierter Weg zur Erkenntnis sind. Doch wenn die Welt, die untere und die obere, ein System von Entsprechun-gen ist, in dem tout se tient, so ist es nur natürlich, daß der Kiosk und die Pyramide, die beide von Menschen erbaut sind, in ihrer Struktur unbewußt die Harmonien des Kosmos reproduzieren. Diese sogenannten Pyramidologen entdek-ken mit unglaublich komplizierten Mitteln eine ganz einfache Wahrheit, die sehr viel älter und seit langem bekannt ist.
Das Perverse ist die Logik der Forschung und der Entdek-kung, denn sie ist die Logik der Wissenschaft. Die Logik der Weisheit hat keine Entdeckungen nötig, da sie schon weiß.
Wozu beweisen, was gar nicht anders sein könnte? Wenn es ein Geheimnis gibt, liegt es sehr viel tiefer. Diese Ihre Autoren bleiben immer nur an der Oberfläche. Vermutlich tischt 344
uns der hier auch all die Kindereien über die Ägypter und die Elektrizität auf...«
»Ich frage Sie nicht mehr, wie Sie das erraten konnten.«
»Sehen Sie? Diese Leute begnügen sich mit der Elektrizität, wie irgendein Ingenieur Marconi. Weniger kindisch wäre die Hypothese der Radioaktivität. Eine interessante Annahme, die im Gegensatz zur Elektrizitätshypothese auch den vielbeschrienen Fluch des Tutanchamun erklären würde.
Wie haben die Ägypter es angestellt, die schweren Steine der Pyramiden zu heben? Kann man Steine mit Stromstößen heben, bringt man sie durch Kernspaltung zum Fliegen? Die Ägypter hatten das Mittel gefunden, die Schwerkraft aufzuheben, sie besaßen das Geheimnis der Levitation. Eine andere Form von Energie... Man weiß, daß die chaldäischen Priester imstande waren, heilige Maschinen durch bloße Töne in Gang zu setzen, und daß die Priester von Karnak und Theben die Pforten eines Tempels durch den Klang ihrer Stimme aufspringen lassen konnten — und worauf sonst wohl bezieht sich, überlegen Sie einmal, die Sage vom Sesam-öffne-dich?«
»Und weiter?« fragte Belbo.
»Da liegt der Hund begraben, mein Freund. Elektrizität, Radioaktivität, Atomenergie — der wahre Initiierte weiß: das alles sind nur Metaphern, oberflächliche Hüllen, kon-ventionelle Lügen, bestenfalls klägliche Surrogate einer viel älteren und vergessenen Kraft, die der Initiierte sucht und die er eines Tages auch finden wird. Wir müßten vielleicht...« — er zögerte einen Moment — »von den tellurischen Strömen sprechen.«
»Wovon?« fragte, ich weiß nicht mehr, wer von uns dreien.
Agliè schien enttäuscht. »Sehen Sie? Schon hoffte ich, daß unter Ihren Kunden jemand aufgetaucht wäre, der mir etwas Interessanteres sagen könnte.
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