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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Sie müßten zu viele Texte von Verrückten lesen, und halten das für Zeitverschwendung.
    Ich nicht, für mich sind die Texte Ihrer Verrückten — Ihrer, also der für die normalen Leute Verrückten — wichtige Texte. Vielleicht erklärt mir der Text eines Verrückten, wie jemand denkt, der Bomben in Züge legt. Oder fürchten Sie, ein Polizeispitzel zu werden?«
    »Nein, Ehrenwort. Im Grunde ist es mein Beruf, Ideen in Karteikästen zu suchen. Wenn ich auf den richtigen Hinweis stoße, werde ich an Sie denken.«
    Während er aufstand, ließ er die letzte Frage fallen: »Und 380
    haben Sie unter Ihren Manuskripten nie einen Hinweis auf...
    etwas namens Tres gefunden?«
    »Was ist das?«
    »Ich weiß nicht. Muß eine Vereinigung sein oder etwas in der Art, ich weiß nicht mal, ob es wirklich existiert. Ich habe nur davon reden hören, und jetzt ist es mir im Zusammenhang mit den Verrückten eingefallen. Grüßen Sie Ihren Freund Belbo von mir. Sagen Sie ihm, daß ich nicht auf seiner Spur bin. Und daß ich einen scheußlichen Beruf ausübe, der mir scheußlicherweise auch noch gefällt.«
    Auf dem Heimweg fragte ich mich, wer von uns beiden das Spiel gewonnen hatte. Er hatte mir eine Menge erzählt, ich nichts. Wenn ich argwöhnisch sein wollte: vielleicht hatte er mir etwas aus der Nase gezogen, ohne daß ich es gemerkt hatte. Aber wer argwöhnisch sein will, gerät leicht in die Psychose des synarchistischen Komplotts.
    Als ich Lia von dem Gespräch erzählte, sagte sie: »Also mir scheint, er war ehrlich zu dir. Er wollte sich mal aussprechen. Meinst du, im Polizeipräsidium findet er jemanden, der ihm zuhört, wenn er ihn fragt, ob Jeanne Canudo rechts oder links war? Er wollte bloß rausfinden, ob er’s ist, der nichts kapiert, oder ob die Geschichte wirklich zu schwierig ist. Und du bist nicht imstande gewesen, ihm die einzige richtige Antwort zu geben.«
    »Und die wäre?«
    »Daß es da nichts zu kapieren gibt. Die Synarchie ist Gott.«
    »Gott?«
    »Ja. Die Menschheit kann den Gedanken nicht ertragen, daß die Welt per Zufall entstanden ist, durch einen Irrtum, bloß weil vier unvernünftige Atome auf der nassen Autobahn ineinandergerast sind. Also muß sie eine kosmische Verschwörung suchen. Gott, die Engel oder die Teufel. Die Synarchie erfüllt dieselbe Funktion, nur in kleinerem Maß-
    stab.«
    »Also hätte ich ihm erklären sollen, daß die Leute Bomben in Züge legen, weil sie Gott suchen?«
    »Vielleicht.«
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54
    The prince of darkness is a Gentleman. *
    Shakespeare, King Lear, 3, 4, 140
    Es wurde Herbst. Eines Morgens ging ich in die Via Marchese Gualdi hinüber, um mir von Signor Garamond die Erlaubnis zu holen, einige Farbdias aus dem Ausland zu bestellen. Im Büro der Signora Grazia sah ich Agliè, über das Autorenverzeichnis von Manuzio gebeugt. Ich störte ihn nicht, da ich mich verspätet hatte und Signor Garamond mich erwartete.
    Am Ende unserer Besprechung fragte ich ihn, was Agliè im Sekretariat machte.
    »Oh, der ist ein Genie«, sagte Garamond. »Ein Mann von ganz außergewöhnlichem Feingefühl und enormer Bildung.
    Vorgestern abend habe ich ihn mit einigen unserer Autoren zum Essen ausgeführt, und er hat mir große Ehre gemacht.
    Welch eine Konversation, welch ein Stil! Ein echter Gentleman alten Schlages, ein richtiger Herr, von einer Noblesse, wie man sie heute kaum noch findet. Welche Gelehrtheit, welche Kultiviertheit, ich sage noch mehr, welche Infor-miertheit! Er hat köstliche Anekdoten erzählt über Leute von vor hundert Jahren, ich schwöre es Ihnen, als hätte er sie persönlich gekannt! Und wissen Sie, was für eine glänzende Idee er mir auf dem Heimweg gesteckt hat? Er hatte meine Gäste auf den ersten Blick durchschaut und kannte sie inzwischen besser als ich. Er meinte, wir sollten nicht warten, daß die Autoren der Entschleierten Isis von alleine kämen.
    Das sei Zeitvergeudung, erst das Palaver, dann die Lektüre der Manuskripte, und dann weiß man nicht, ob sie bereit sind, zu den Unkosten beizutragen. Statt dessen hätten wir eine Goldmine zum Ausbeuten: die Kartei aller Manuzio-Autoren der letzten zwanzig Jahre! Verstehen Sie? Man schreibt einfach an diese unsere ruhmreichen alten Autoren,
    * Der Fürst der Finsternis ist ein Edelmann.
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    oder jedenfalls an diejenigen, die auch die Restbestände aufgekauft haben: Lieber Herr, wissen Sie, daß wir eine neue Buchreihe begonnen haben, die sich der traditionellen Weisheit von höchster Spiritualität

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