Das Foucaultsche Pendel
widmen soll? Müßte es einen Autor von Ihrer Subtilität nicht reizen, in diese Terra in-cognita einzudringen undsoweiterundsofort... Ein Genie, sage ich Ihnen! Ich glaube, er möchte uns alle am Sonntagabend bei sich haben. Er will uns in ein Schloß führen, in eine Burg, ich sage noch mehr, eine prächtige Villa in den Turiner Hügeln. Scheint, daß da außergewöhnliche Dinge stattfinden werden, ein Ritus, eine Zeremonie, ein Hexen-sabbat, wo jemand Gold oder Quecksilber oder so etwas fabrizieren wird. Das ist eine ganz neu zu entdeckende Welt, Casaubon, auch wenn ich, Sie wissen es, die größte Achtung vor jener Wissenschaft hege, der Sie sich mit solcher Passion verschrieben haben, ja, ja, ich bin sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit — ich weiß, die kleine finanzielle Zulage, auf die Sie mich angesprochen hatten, ich hab’s nicht vergessen, wir werden zu gegebener Zeit noch darüber sprechen. Agliè hat mir gesagt, daß auch diese junge Dame dort sein wird, diese schöne Dame — nun, vielleicht ist sie nicht gerade bild-schön, aber rassig, sie hat etwas im Blick — ich meine, diese Freundin von Belbo, wie heißt sie doch gleich...«
»Lorenza Pellegrini.«
»Richtig. Ist da was zwischen ihr und unserem Belbo, eh?«
»Ich glaube, sie sind gute Freunde.«
»Ah! So antwortet ein Gentleman. Bravo, Casaubon. Aber es war nicht aus Neugier, es ist vielmehr, weil ich mich für Sie alle hier wie ein Vater fühle und... nun ja, lassen wir das, à la guerre comme à la guerre... Adieu, mein Lieber.«
Wir hatten tatsächlich ein Rendezvous mit Agliè im Turiner Hügelland, bestätigte mir Belbo. Ein doppeltes Rendezvous.
Erst am Sonntagabend ein Fest im Schloß eines sehr wohlha-benden Rosenkreuzers, danach würde Agliè uns zu einem Ort ein paar Kilometer weiter führen, woselbst, natürlich um Mitternacht, ein druidischer Ritus stattfinden sollte, über den er sich nur sehr vage geäußert hatte.
»Aber ich dachte mir«, fügte Belbo hinzu, »wir müßten ohnehin letzte Hand an die Geschichte der Metalle legen, und hier sind wir immer zu sehr gestört. Wie wär’s, warum 383
fahren wir nicht schon am Samstag los und verbringen das Wochenende in meinem alten Haus in ***? Es ist ein schöner Ort, Sie werden sehen, die Hügel lohnen sich. Diotallevi ist einverstanden, und vielleicht kommt auch Lorenza mit. Na-türlich... bringen Sie mit, wen Sie wollen.«
Er kannte Lia nicht, aber er wußte, daß ich eine Freundin hatte. Ich sagte, ich würde alleine kommen. Seit zwei Tagen hatte ich Streit mit Lia. Es war bloß eine Dummheit gewesen, und nach einer Woche war dann auch tatsächlich alles wieder im Lot, aber ich verspürte das Bedürfnis, mich für zwei Tage aus Mailand zu entfernen.
So fuhren wir nach ***, das Trio von Garamond und Lorenza Pellegrini. Bei der Abfahrt hatte es einen Moment der Spannung gegeben. Lorenza war pünktlich zum Treffpunkt gekommen, aber als sie gerade einsteigen wollte, hatte sie plötzlich gesagt: »Vielleicht bleib ich doch lieber hier, dann könnt ihr in Ruhe arbeiten. Ich komm dann mit Simon nach.«
Belbo, der am Steuer saß, hatte die Arme ausgestreckt und starr vor sich hinblickend leise gesagt: »Steig ein.« Lorenza war eingestiegen, vorn neben ihm, und hatte während der ganzen Fahrt die Hand in Belbos Nacken gehalten, der schweigend fuhr.
*** sei noch immer der kleine Marktflecken, den er während des Krieges gekannt habe, erklärte uns Belbo, als wir näher kamen. Wenige Neubauten, die Landwirtschaft im Niedergang, die Jungen in die Stadt abgewandert. Er zeigte auf einige flache Hänge, die jetzt Weideland waren, und sagte, früher seien sie gelb von Weizenfeldern gewesen. Das Städtchen erschien unversehens nach einer Kurve, am Fuß eines Hügels, auf dem Belbos Haus stand. Der Hügel war niedrig, und man sah hinter ihm die Höhen von Monferrat in einem leichten, leuchtenden Dunst. Während wir hinauffuhren, zeigte uns Belbo einen fast kahlen Hügel gegenüber, auf dessen Gipfel eine Kapelle stand, flankiert von zwei Pi-nien. »Der Bricco«, sagte er. Dann fügte er hinzu: »Macht nichts, wenn euch der Name nichts sagt. Dort ging man Ostern rauf, um das ›Engelspicknick‹ zu machen, am Oster-montag. Heute ist man in fünf Minuten mit dem Auto oben, aber damals ging man zu Fuß, und es war eine Wallfahrt.«
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Ich nenne Theater [den Ort, an dem] alle Hand-
lungen von Worten und Gedanken sowie die Ein-
zelheiten einer Rede und der Argumente vorge-
zeigt werden
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