Das Foucaultsche Pendel
Zimmerchen.« — »Schlaf, wo du willst«, sagte er ärgerlich, »aber die andern sind hier, um zu arbeiten, gehen wir auf die Terrasse.«
Und so arbeiteten wir auf einer großen Terrasse im Schutz einer Pergola, bei kalten Säften und viel Kaffee. Alkohol war bis zum Abend verboten.
Von der Terrasse aus sah man den Bricco und darunter, am Fuß des Hügels, einen großen schmucklosen Bau mit einem Hof und einem Fußballfeld. Das Ganze belebt mit kleinen bunten Gestalten, Kindern, wie mir schien. Belbo kam ein erstes Mal darauf zu sprechen: »Das ist das Oratorium der Salesianer. Da hat mir Don Tico spielen beigebracht. In der Blaskapelle.«
Mir fiel die Trompete ein, die Belbo nicht bekommen hatte, damals nach seinem Traum. Ich fragte: »Trompete oder Klarinette?«
Er hatte einen Anfiug von Panik: »Woher wissen Sie... Ach ja, stimmt, ich hatte Ihnen von dem Traum mit der Trompete erzählt. Nein, Don Tico hat mir Trompetespielen beigebracht, aber in der Kapelle spielte ich das Baryton.«
»Was ist ein Baryton?«
»Kindergeschichten. Jetzt arbeiten wir.«
Doch während wir arbeiteten, warf er immer wieder kurze Blicke zum Oratorium hinüber. Ich hatte den Eindruck, daß er extra, um hinüberschauen zu können, ab und zu die Diskussion unterbrach und von anderen Dingen erzählte: »Hier hat es eine der wildesten Schießereien am Ende des Krieges gegeben. In *** herrschte damals so etwas wie ein Abkommen zwischen Partisanen und Faschisten. Im Frühling kamen die Partisanen aus den Bergen herunter, um das Tal zu 387
besetzen, und die Faschisten ließen sie ungestört machen.
Die Faschisten waren nicht aus dieser Gegend, die Partisanen stammten alle von hier. Bei Zusammenstößen wußten sie, wie man sich in den Maisfeldern, in den Wäldchen, zwischen den Hecken bewegt. Die Faschisten verschanzten sich in der Hauptstadt und kamen nur zu Razzien her. Im Winter war’s für die Partisanen schwieriger, sich im Tal zu bewegen, man konnte sich nicht verstecken, man wurde von weitem im Schnee gesehen, und für ein MG war man noch auf einen Kilometer erreichbar. Also stiegen die Partisanen weiter hinauf. Da waren sie dann wieder mit dem Gelände vertraut und kannten die Hänge und Schlupflöcher. Die Faschisten kamen und kontrollierten das Tal. Aber damals, im Frühjahr 45, waren wir kurz vor der Befreiung. Die Faschisten waren noch hier, aber ich glaube, sie trauten sich nicht mehr zurück in die Hauptstadt, weil sie irgendwie ahnten, daß dort der letzte Schlag geführt werden würde, wie’s ja dann kurz vor dem 25. April auch geschah. Ich glaube, es gab stillschweigende Übereinkünfte, die Partisanen warteten ab, sie wollten die offene Konfrontation vermeiden, sie hatten das sichere Gefühl, daß bald etwas geschehen würde, nachts sendete Radio London immer ermutigendere Nachrichten, immer öfter kamen Sonderdurchsagen »für die Franchi« — die Franchi war eine der bestorganisierten Einheiten der badoglianischen Partisanen, kommandiert von Edgardo Sogno, der sich Franchi nannte, und die Durchsagen melde-ten: ›Morgen regnet es wieder‹ oder ›Onkel Pietro hat das Brot gebracht‹ oder solche Sachen, Diotallevi, du hast sie vielleicht gehört... Kurz, es muß dann ein Mißverständnis gegeben haben, die Partisanen sind runtergekommen, als die Faschisten noch da waren, Tatsache ist jedenfalls, daß eines Tages meine kleine Schwester hier auf der Terrasse war und dann reingelaufen kam und sagte, da draußen sind zwei Jungs, die spielen Fangen mit Maschinenpistolen. Wir wunderten uns nicht weiter, es waren ja alles junge Kerle, die gerne mit Waffen spielten, um die Zeit totzuschlagen.
Einmal hatten zwei zum Spaß wirklich geschossen, und die Kugel hatte sich in den Stamm eines Baumes gebohrt, an dem meine Schwester gerade lehnte. Sie hatte es nicht mal gemerkt, die Nachbarn hatten es uns erzählt, und da war ihr beigebracht worden, daß sie weglaufen sollte, wenn sie zwei 388
Jungs mit Maschinenpistolen spielen sah. ›Jetzt spielen sie wieder‹, hatte sie gerufen, als sie reinkam, um uns zu zeigen, daß sie gehorsam war. Und in dem Moment hörten wir die erste Salve. Nur daß dann gleich eine zweite folgte und eine dritte, und dann waren es viele Salven, wir hörten die trok-kenen Schüsse der Karabiner, das Tatata der MPs, ein paar dumpfere Schläge, vielleicht Handgranaten, und schließlich das Bellen des Maschinengewehrs. Da begriffen wir, daß es diesmal kein Spiel war. Aber wir hatten keine Zeit mehr,
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