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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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tun?«
    »Es mag ja die Impertinenz des reinen Gewissens sein, aber Sie kommen mir unheimlich neugierig vor.«
    »Sie waren es, der mich zu einem Kaffee eingeladen hat.«
    »Stimmt, und wir sind beide nicht im Dienst. Sehen Sie, aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet hat in dieser Welt alles mit allem zu tun.« Ein schönes hermetisches Phi-losophem, dachte ich. Aber er fügte sofort hinzu: »Womit ich nicht sagen will, diese Leute hätten mit der Politischen 376
    Polizei zu tun, aber wissen Sie... Früher suchten wir die Roten Brigaden in den besetzten Häusern und die Schwarzen Brigaden in den diversen Kampfsportvereinen, heute könn-te es genau umgekehrt sein. Wir leben in einer bizarren Welt.
    Ich versichere Ihnen, mein Beruf war vor zehn Jahren leichter. Heute gibt’s auch bei den Ideologen keine Religion mehr.
    Manchmal habe ich Lust, ins Rauschgiftdezernat überzu-wechseln. Ein Dealer ist wenigstens noch ein Dealer, da gibt’s nichts zu diskutieren. Da hat man’s mit sicheren Werten zu tun.«
    Er schwieg ein Weilchen, unsicher, glaube ich. Dann zog er ein Notizbuch aus der Tasche, das wie ein Meßbuch aussah.
    »Hören Sie, Casaubon, Sie frequentieren beruflich seltsame Leute, Sie gehen in Bibliotheken, um sich noch seltsamere Bücher auszuleihen. Helfen Sie mir. Was wissen Sie über die Synarchie?«
    »Da muß ich leider passen. So gut wie nichts. Ich hab davon reden hören, im Zusammenhang mit Saint-Yves. Das ist alles.«
    »Und was redet man so darüber?«
    »Wenn man was darüber redet, dann ohne mein Wissen.
    Offen gesagt, mir stinkt die Sache nach Faschismus.«
    »In der Tat, viele dieser Thesen wurden seinerzeit von der Action Française aufgegriffen. Und wenn’s dabei geblieben wäre, sähe ich ja noch klar: Wenn ich eine Gruppe finde, die von Synarchie redet, kann ich sie einordnen. Aber ich bin dabei, mich über das Thema zu informieren, und erfahre, daß um 1929 eine gewisse Vivian Postel du Mas und eine Jeanne Canudo die Gruppe Polaris gegründet haben, die sich am Mythos eines Königs der Welt inspirierte, und dann pro-pagierten sie ein synarchisches Projekt: sozialer Dienst gegen kapitalistischen Profit, Beseitigung des Klassenkampfs durch genossenschaftliche Bewegungen... Scheint eine Art Sozialismus fabianischer Prägung gewesen zu sein, eine per-sonalistische und kommunitäre Bewegung. Tatsächlich wurden sowohl Polaris wie auch die irischen Fabianer beschuldigt, Emissäre eines synarchischen Komplotts unter jüdischer Leitung zu sein. Und wer hat sie dessen beschuldigt?
    Eine Revue internationale des sociétés secrètes, die von einer jüdisch-freimaurerisch-bolschewistischen Verschwörung faselte. Viele ihrer Mitarbeiter gehörten zu einer noch gehei-377
    meren rechten Integralistenvereinigung, der Sapinière. Und sie behaupteten, alle revolutionären politischen Organisationen seien nur die Fassade eines teuflischen Komplotts, das von einem okkultistischen Geheimbund gesteuert werde. Nun werden Sie sagen, okay, wir haben uns geirrt, Saint-Yves hat am Ende linksreformistische Gruppen inspiriert, die Rechte macht aus jeder Mücke einen Elefanten und sieht überall Ableger einer Demo-Pluto-Sozial-Judäokratie. Auch Mussolini hat es so gemacht. Aber wieso wird dann diesen Gruppen vorgeworfen, sie würden von okkultistischen Zirkeln beherrscht? Nach dem bißchen, was ich davon weiß —
    gehen Sie nur mal hin und schauen Sie sich Picatrix an —, sind das Leute, die mit der Arbeiterbewegung wenig im Sinn haben.«
    »So dünkt es auch mich, o Sokrates. Und weiter?«
    »Danke für den Sokrates, aber je mehr ich über das Thema lese, desto weniger sehe ich klar. Anfang der vierziger Jahre entstehen verschiedene Gruppen, die sich synarchisch nennen, und sie reden von einer neuen europäischen Ordnung unter der Führung einer Regierung von überparteilichen Weisen. Und wo konvergieren dann all diese Gruppen? Im Umkreis der Kollaborateure von Vichy. Jetzt werden Sie sagen, wir hätten uns erneut geirrt, die Synarchie stehe eben rechts. Vorsicht! Nachdem ich so viel gelesen habe, wird mir klar, daß alle sich nur in einem Punkt einig sind: Die Synarchie existiert und regiert insgeheim die Welt. Aber nun kommt das Aber...«
    »Aber?«
    »Am 24. Januar 1937 wurde Dimitri Navachine, ein Freimaurer und Martinist (ich weiß nicht genau, was Martinisten sind, aber mir scheint, eine von diesen Sekten), damals Berater der Volksfrontregierung in Wirtschaftsfragen, nachdem er zuvor Direkor einer

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