Das Foucaultsche Pendel
Sie, was passiert ist. Frankreich unterdrückt zehn Tage im Dezember 1583, und bis Juni 1584 haben sich alle daran gewöhnt. Aber als in Frankreich der 23. Juni war, da war es in England noch der 13. Juni, und überlegen Sie mal, ob ein braver Engländer, auch wenn er Templer war, zumal in jenen Zeiten, als die Informationen noch langsam zirkulierten, ob der sich die Sache wohl klargemacht hat. Noch heute fahren sie links und ignorieren das metrische Dezimalsystem... So erscheinen die Engländer beim Refugium an ihrem 23. Juni, der für die Franzosen inzwischen der 3. Juli ist. Nun darf man wohl annehmen, daß diese Treffen nicht gerade mit Fanfarenstö-
ßen begleitet wurden, es waren verstohlene Treffen an der richtigen Ecke zur richtigen Zeit. Die Franzosen sind am 23.
Juni pünktlich zur Stelle, sie warten einen Tag, zwei, drei, sieben Tage, und schließlich gehen sie wieder, in der Annahme, daß wohl etwas passiert sein muß. Womöglich resignie-ren sie genau am Abend des 2. Juli. Die Engländer kommen am 3. Juli und finden niemanden vor. Womöglich warten auch sie acht Tage und finden weiterhin niemanden vor. So 477
haben die beiden Großmeister sich verloren.«
»Wunderbar!« sagte Belbo. »So ist es gelaufen. Aber warum rühren sich dann jetzt die deutschen Rosenkreuzer und nicht die englischen?«
Ich bat um einen weiteren Tag Zeit, stöberte in meiner Kartei und kam am nächsten Morgen stolzgeschwellt ins Büro. Ich hatte eine Spur gefunden, scheinbar nur eine winzige, aber so arbeitet Sam Spade, nichts ist irrelevant für seinen Falken-blick. Gegen 1584 wurde der Magier und Kabbalist John Dee, Astrologe der Königin von England, mit dem Studium der Reform des julianischen Kalenders beauftragt!
»Die Engländer haben die Portugiesen 1464 getroffen.
Nach diesem Datum scheint es, als würden die Britischen Inseln von einem kabbalistischen Fieber erfaßt. Man arbeitet über dem, was man erfahren hat, um sich auf das nächste Treffen vorzubereiten. John Dee ist der Anführer dieser magischen und hermetischen Renaissance. Er richtet sich eine Privatbibliothek mit viertausend Bänden ein, die von den Templern aus Provins zusammengestellt sein könnte. Sein Opus Monas Ieroglyphica scheint direkt von der Tabula sma-ragdina inspiriert, der Bibel der Alchimisten. Und was tut John Dee ab 1584? Er liest die Steganographia von Trithemius!
Und zwar im Manuskript, denn gedruckt erscheint das Werk erst zu Beginn des nächsten Jahrhunderts. Als Großmeister der englischen Gruppe, der die Schlappe des geplatzten Treffens erlitten hat, will Dee herausfinden, was passiert ist, wo der Fehler gelegen hat Und da er auch ein großer Astronom ist, faßt er sich an die Stirn und sagt, was war ich doch für ein Idiot! Und setzt sich hin, um die Gregorianische Reform zu studieren, nicht ohne sich von Elisabeth dafür bezahlen zu lassen, um herauszufinden, wie sich der Fehler wieder-gutmachen läßt. Aber ihm wird klar, daß es zu spät ist. Er weiß nicht, mit wem er in Frankreich Kontakt aufnehmen soll, aber er hat Kontakte zum mitteleuropäischen Raum.
Das Prag Rudolfs II. ist ein alchimistisches Laboratorium, und tatsächlich begibt sich John Dee genau in diesen Jahren nach Prag und trifft sich dort mit Khunrath, dem Autor jenes Amphitheatrum sapientiae aeternae, dessen allegorische Tafeln später sowohl Andreae wie die Rosenkreuzer-Manifeste inspirieren sollten. Welche Beziehungen stellt John Dee her?
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Ich weiß nicht. Zerstört von Gewissenbissen wegen seines irreparablen Fehlers stirbt er 1608. Aber keine Angst, denn in London regt sich schon eine andere Gestalt, jemand, der nach allgemeiner Ansicht der Leute ein Rosenkreuzer war und von den Rosenkreuzern in seinem Neuen Atlantis gesprochen hat. Ich meine Francis Bacon.«
»Hat Bacon wirklich von ihnen gesprochen?« fragte Belbo.
»Nicht direkt, aber nach seinem Tod hat ein gewisser John Heydon das Neue Atlantis umgeschrieben unter dem Titel The Holy Land, und da hat er die Rosenkreuzer reingetan.
Aber für unsere Zwecke genügt es auch so. Bacon nennt sie aus evidenten Gründen der Diskretion nicht offen beim Namen, aber es ist, als ob er’s täte.«
»Und wer’s nicht glaubt, den hole die Pest.«
»Genau. Und es ist Bacon, auf dessen Betreiben man nun die Beziehungen zwischen dem englischen und dem deutschen Milieu noch enger zu knüpfen sucht. 1613 erfolgt die Hochzeit zwischen Elisabeth, der Tochter Jakobs I., der nun auf dem Thron sitzt, mit Kurfürst
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