Das Foucaultsche Pendel
gebildet, das gefüllt werden mußte!
Warum aber, fragte ich mich ein weiteres Mal, warum wurden all diese Sachen in Deutschland gesagt, wo doch die vierte Generationslinie einfach geduldig abwarten sollte, bis 474
sie an die Reihe kam? Die Deutschen konnten sich doch —
im Jahre 1614 — nicht über ein verpaßtes Treffen in Marienburg beklagen, das erst für 1704 vorgesehen war! Nur eine Schlußfolgerung war möglich: Die Deutschen beschwerten sich darüber, daß das vorangegangene Treffennicht stattgefunden hatte!
Das war der Schlüssel! Die Deutschen der vierten Linie beklagten sich darüber, daß die Engländer der zweiten Linie die Franzosen der dritten verpaßt hatten! Natürlich, so muß-
te es gewesen sein! Der Text enthielt Anspielungen von einer geradezu kindischen Deutlichkeit: Das Grab des C. R.
wird geöffnet, und man findet darin die Unterschriften der Brüder des ersten und zweiten Zirkels, nicht aber die des dritten! Portugiesen und Engländer sind da, aber wo sind die Franzosen?
Kurzum, die beiden Manifeste der Rosenkreuzer sprachen, wenn man sie richtig zu lesen verstand, von der Tatsache, daß die Engländer die Franzosen verpaßt hatten. Und nach dem, was wir inzwischen festgestellt hatten, wußten die Engländer als einzige, wo die Franzosen zu finden waren, und die Franzosen als einzige, wo die Deutschen zu finden waren. Doch selbst wenn die Franzosen dann 1704 die Deutschen gefunden hätten, wären sie nur mit einem Drittel dessen gekommen, was sie ihnen übergeben sollten.
Die Rosenkreuzer traten ans Licht der Öffentlichkeit und riskierten, was sie riskierten, da es die einzige Chance war, den Großen Plan zu retten.
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... wissen wir also nicht gewiß, ob die des andern Reyen von gleicher weißheit mit den ersten gewesen und zu allem zugelassen worden.
Fama Fraternitatis, in Allgemeine und General Reformation, Kassel, Wessel, 1614
Stolz verkündete ich meine Entdeckungen Belbo und Diotallevi. Sie stimmten zu, daß der geheime Sinn der Manifeste offen zu Tage lag, selbst für einen Okkultisten.
»Jetzt ist alles klar«, sagte Diotallevi. »Wir hatten uns in den Kopf gesetzt, daß der Plan beim Übergang von den Deutschen zu den Paulizianern steckengeblieben wäre, und dabei hatte schon 1584 der Übergang von England nach Frankreich nicht geklappt«
»Aber warum nicht?« fragte Belbo. »Haben wir einen guten Grund, warum es den Engländern 1584 nicht gelungen sein soll, das Treffen mit den Franzosen zu realisieren? Die Engländer wußten doch, wo das Refugium war, sie waren sogar die einzigen, die es wußten.«
Er wollte die Wahrheit. Und schaltete Abulafia ein. Und fragte ihn probehalber nach einer Kombination zweier blind herausgegriffener Daten. Und das Output war:
Minnie ist die Verlobte von Mickymaus.
30 Tage hat November, mit April, Juni und September
»Wie ist das zu interpretieren?« fragte Belbo.
»Minnie vereinbart ein Rendezvous mit Mickymaus, aber versehentlich gibt sie den einunddreißigsten September an, und Micky...«
»Halt! Moment mal!« rief ich. »Minnie könnte sich nur geirrt haben, wenn sie das Rendezvous auf den 5. Oktober 1582 gelegt hätte!«
»Wieso?«
»Die Gregorianische Kalenderreform! Ist doch ganz klar.
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1582 tritt die Gregorianische Reform in Kraft, die den julianischen Kalender korrigiert, und um das Gleichgewicht wie-derherzustellen, werden zehn Tage im Oktober unterdrückt, vom 5. bis zum 14.!«
»Aber das Treffen in Frankreich ist für 1584 festgesetzt, für die Johannisnacht, also den 23. Juni«, sagte Belbo.
»In der Tat. Aber wenn ich mich richtig erinnere, ist die Reform nicht gleich überall in Kraft getreten.« Ich holte mir den Ewigen Kalender vom Regal. »Ja, hier steht es: Die Reform wurde 1582 verkündet, und es wurden die Tage vom 5.
bis zum 14. Oktober unterdrückt, aber das funktionierte nur für den Papst. Frankreich übernahm die Reform erst 1583
und unterdrückte die Tage vom 10. bis 19. Dezember. In Deutschland kam es zu einer Spaltung, die katholischen Länder übernahmen die Reform 1584, wie in Böhmen, die protestantischen zum Teil erst 1775, also fast zweihundert Jahre später, ganz zu schweigen von Bulgarien, das sie — ein Datum, das wir uns merken müssen — erst 1917 übernahm.
Und wie steht’s mit England? Hier, England übernahm die Gregorianische Reform 1752! Natürlich, in ihrem Haß auf die Papisten widersetzten sich auch die Anglikaner fast zweihundert Jahre lang. Und jetzt kapieren
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