Das Foucaultsche Pendel
wiederlesen. Ich drehe und wende die Zitate wie Kügelchen eines häretischen Rosenkranzes, und manchmal ist mir, als hätten einige davon für Belbo ein Warnzeichen sein können, eine rettende Spur.
Oder bin ich es, der nicht mehr zwischen dem guten Rat und der Sinnesverwirrung unterscheiden kann? Ich versuche mich zu überzeugen, daß meine erneute Lektüre die richtige ist, aber erst heute morgen sagte jemand zu mir — und nicht zu Belbo —, ich sei verrückt.
Der Mond steigt langsam am Horizont herauf, drüben hinter dem Bricco. Das große Haus ist erfüllt von seltsamem Knak-ken und Knistern — vielleicht Holzwürmer, Mäuse, oder das Gespenst von Adelino Canepa... Ich wage nicht, durch den Flur zu gehen, ich sitze im Arbeitszimmer von Onkel Carlo und schaue zum Fenster hinaus. Hin und wieder gehe ich auf die Terrasse, um zu sehen, ob jemand den Hügel heraufkommt. Mir ist, als wäre ich in einem Film, wie pathetisch: »Sie kommen...«
Dabei ist der Hügel so still in dieser Frühsommernacht.
Um wieviel abenteuerlicher, ungewisser, verrückter war die Rekonstruktion, die ich, um mir die Zeit zu vertreiben und wachzubleiben, vorgestern abend zwischen fünf und zehn im Periskop versuchte, stehend, während ich, um mein Blut zirkulieren zu lassen, langsam die Beine bewegte, als folgte ich einem afro-brasilianischen Rhythmus.
Zurückdenken an die letzten Jahre und sich dabei dem betörenden Trommeln der Atabaques überlassen ... Vielleicht um die Offenbarung zu erhalten, daß unsere Phantasien, die als mechanisches Ballett begonnen hatten, sich nun in jenem Tempel der Mechanik in Ritus verwandeln würden, in Pos-session, Erscheinung und Herrschaft des Exu?
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Vorgestern abend im Periskop hatte ich noch keinen Beweis für die Wahrheit dessen, was mir der Drucker enthüllt hatte.
Ich konnte mich noch in den Zweifel retten. Um Mitternacht würde ich vielleicht herausfinden, daß ich nach Paris gekommen war und mich wie ein Dieb in einem harmlosen Technikmuseum versteckt hatte, bloß weil ich ahnungslos in eine für Touristen organisierte Macumba geraten war und mich hatte einlullen lassen vom hypnotisierenden Nebel der Perfumadores und vom Rhythmus der Pontos...
Um das Mosaik zusammenzusetzen, hatte es mein Ge-dächtnis abwechselnd mit der Ernüchterung, dem Mitleid und dem Argwohn probiert, und jenes geistige Klima, jenes Schwanken zwischen onirischer Illusion und Vorahnung einer Falle wünschte ich mir auch jetzt, während ich mit viel klarerem Kopf über all das nachdenke, was ich vorgestern abend gedacht hatte, als ich mir klarzumachen versuchte, was ich da hastig am Vortag gelesen hatte, nachts in Belbos Wohnung und noch am selben Morgen am Flughafen und auf dem Flug nach Paris.
Wie unverantwortlich waren wir gewesen, Belbo, Diotallevi und ich, als wir daran gingen, die Welt neuzuschreiben oder — wie Diotallevi gesagt hätte — diejenigen Teile des Heiligen Buches aufzudecken, die mit weißem Feuer eingra-viert waren zwischen den Zeilen der schwarzen Lettern, die gleich schwarzen Insekten die Torah bevölkerten und zu verdeutlichen schienen!
Nun bin ich, hier endlich — so hoffe ich — zur heiterer Ruhe und zum Amor Fati gelangt, bereit zur Reproduktion der Geschichte, die ich vor zwei Tagen voller Unruhe — und in der Hoffnung, daß sie falsch sei — im Periskop rekonstruierte, nachdem ich sie weitere zwei Tage vorher in Belbos Wohnung gelesen und sie, zum Teil unbewußt, in den letzten zwölf Jahren erlebt hatte, zwischen dem Whisky bei Pilade und dem Staub im Verlag Garamond.
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Binah
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Erwartet euch nicht zuviel vom Weltuntergang.
Stanislaw Jerzy Lee, Aforyzmy. Frazki, Kraków, Wydawnict-wo Literackie, 1977 (»Unfrisierte Gedanken«)
Zwei Jahre nach Achtundsechzig das Studium zu beginnen ist ungefähr so, wie 1793 in die Akademie von Saint-Cyr aufgenommen zu werden. Man kommt sich vor wie im falschen Jahr geboren. Andererseits überzeugte mich später Jacopo Belbo, der mindestens fünfzehn Jahre älter als ich war, daß jede Generation diesen Eindruck hat. Man wird immer unter dem falschen Zeichen geboren, und mit Würde auf der Welt sein heißt Tag für Tag sein Horoskop korrigieren.
Ich glaube, wir werden das, was unsere Väter uns in den toten Zeiten gelehrt haben, während sie nicht daran dachten, uns zu erziehen. Man formt sich an Abfällen der Weisheit. Als ich zwölf Jahre alt war, wollte ich, daß meine Eltern mir ein bestimmtes Wochenblatt abonnierten, das die
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