Das Foucaultsche Pendel
nach ihnen zu suchen und zu behaupten, sie existierten noch weiter, ohne je einen Beweis vorzulegen. Dieser visionäre Exzeß beleidigte meine Ungläubigkeit, und so beschloß ich, keine Zeit mit diesen Mysterienjägern zu verlieren, sondern mich allein an die zeitgenössischen Quellen zu halten. Die Templer waren ein monastischer Ritterorden, der existierte, solange er von der Kirche anerkannt wurde. Wenn die Kirche den Orden aufgelöst hatte, und das hatte sie vor siebenhundert Jahren getan, dann konnten die Templer nicht mehr existieren, und wenn sie noch existierten, dann waren sie keine Templer. So kam es, daß ich zwar mindestens hundert Bücher verzettelt hatte, aber am Ende bloß etwa dreißig las.
Mit Jacopo Belbo kam ich genau wegen der Templer in Kontakt, bei Pilade, als ich meine Dissertation fast fertig hatte, so gegen Ende 1972.
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Aus dem Licht und von den Göttern gekommen,
bin ich nun im Exil, von ihnen getrennt.
Manichäisches Fragment aus Turfan, M7
Pilades Bar war in jenen Jahren der Freihafen, die galaktische Taverne, in der die Aliens von Ophiuchus, die den Planeten Erde belagerten, sich zwanglos mit den Männern des Imperiums trafen, die auf den Van-Allen-Gürteln patrouillierten. Es war eine Bar am Rande der Mailänder Altstadt, mit Zinktresen und Billard, wohin morgens die Straßenbahner und die Handwerker aus der Gegend kamen, um sich einen kleinen Weißen zu gönnen. Achtundsechzig und in den folgenden Jahren war Pilade dann so etwas wie Rick’s Bar geworden, wo man den Aktivisten der Studentenbewe-gung beim Kartenspiel sehen konnte, am selben Tisch mit dem Journalisten der bourgeoisen Zeitung, der sich nach Redaktionsschluß einen genehmigte, während die ersten Lastwagen schon unterwegs waren, um die Lügen des Systems zu verbreiten. Doch bei Pilade fühlte sich auch der Journalist als ein ausgebeuteter Proletarier, ein Produzent von Mehrwert, in Ketten gelegt, um Ideologie zu fabrizieren, und die Studenten erteilten ihm Absolution.
Zwischen elf Uhr abends und zwei Uhr nachts kamen dann der Verlagslektor, der Architekt, der Skandalreporter mit Ambitionen auf die Kulturseite, die Maler der Brera-Akademie, ein paar mittelprächtige Schriftsteller und Studenten wie ich.
Ein Mindestmaß an alkoholischem Exzeß war die Regel, und der alte Pilade hatte, während er seinen Weißwein für die Straßenbahner und die eher aristokratischen Kunden bei-behielt, das Sprudelwasser und den Ramazzotti-Bitter mit DOC-Schaumweinen für die demokratischen Intellektuellen und Johnny Walker für die Revolutionäre ersetzt. Ich könnte die politische Geschichte jener Jahre schreiben, indem ich die Tempi und Modi beschriebe, in denen man Schritt für 63
Schritt vom Red Label zum zwölfjährigen Ballantine und schließlich zum Malt überging.
An dem alten Billardtisch forderten Maler und Straßenbahner einander noch zu Partien heraus, aber bei der Ankunft der neuen Kundschaft hatte Pilade nun auch einen Flipper aufgestellt.
Bei mir blieb eine Kugel nur immer ganz kurz im Spiel, und anfangs glaubte ich, es läge an meiner Unaufmerksam-keit oder geringen manuellen Geschicklichkeit. Woran es wirklich lag, begriff ich erst Jahre später, als ich Lorenza Pellegrini flippern sah. Sie war mir zunächst gar nicht aufge-fallen, doch eines Abends faßte ich sie ins Auge, als ich Belbos Blick folgte.
Belbo hatte eine Art, in der Bar zu sein, als wäre er bloß auf Durchreise (dabei bewohnte er sie seit mindestens zehn Jahren). Er griff oft in Gespräche ein, am Tresen oder an einem der Tische, aber fast immer mit einer knappen Bemerkung, die jeden Enthusiasmus ersterben ließ, egal wovon gerade die Rede war. Dasselbe gelang ihm auch mit einer anderen Technik, nämlich durch Fragen. Jemand erzählte etwas, er-zählte so lebhaft, daß alle wie gebannt zuhörten, und Belbo betrachtete ihn mit seinen blaugrünen, immer ein wenig zerstreut blickenden Augen, hielt das Glas in Hüfthöhe, als hät-te er längst zu trinken vergessen, und fragte dann: »Und so ist es wirklich gewesen?« Oder: »Und das haben Sie im Ernst gesagt?« Ich weiß nicht was dabei geschah, aber an dem Punkt begann jeder an der Erzählung zu zweifeln, auch der Erzähler. Es mußte der piemontesische Tonfall sein, der Belbos Affirmationen zu Fragen machte und seinen Fragen zu Spott. Piemontesisch an Belbo war auch seine Art zu sprechen, ohne dem Gegenüber zu tief in die Augen zu sehen, aber nicht wie einer, der mit dem Blick ausweicht. Belbos
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