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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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    Die Liste Nr. 5 — sechs Unterhemden, sechs Un-
    terhosen, sechs Taschentücher — hat den For-
    schern seit je zu denken gegeben, besonders we-
    gen des völligen Fehlens von Socken.
    Woody Allen, Getting even, New York, Random House, 1966,
    »The Metterling List«
    Zu der Zeit, es ist gerade erst einen Monat her, beschloß Lia, daß mir ein paar Wochen Urlaub guttun würden. Du siehst müde aus, sagte sie. Vielleicht hatte der Große Plan mich erschöpft. Außerdem brauchte das Kind, wie die Groß-
    eltern sagten, gute Luft. Freunde hatten uns ein kleines Haus in den Bergen überlassen.
    Wir fuhren nicht sofort los. Es gab noch ein paar Dinge in Mailand zu erledigen, und dann meinte Lia, es gebe nichts Erholsameres als einen Urlaub in der Stadt, wenn man weiß, daß man hinterher wegfahren wird.
    In den Tagen habe ich Lia zum erstenmal von dem Großen Plan erzählt. Vorher war sie zu sehr mit dem Kind beschäftigt gewesen; sie wußte nur vage, daß ich mit Belbo und Diotallevi an einer Art Puzzle saß, das uns ganze Tage und Nächte lang in Beschlag nahm, aber ich hatte ihr nichts mehr gesagt, seit sie mir damals ihre Predigt über die Psychose der Analogien gehalten hatte. Vielleicht schämte ich mich.
    Jetzt aber, wo er fertig war, erzählte ich ihr den ganzen Plan bis in alle Einzelheiten. Sie wußte von Diotallevis Erkrankung, und ich fühlte mich irgendwie schuldig, als ob ich etwas getan hätte, was ich nicht durfte, und daher versuchte ich, das Ganze als das hinzustellen, was es war: nur ein bravouröses Spiel.
    Und Lia sagte: »Pim, deine Geschichte gefällt mir nicht.«
    »Ist sie nicht schön?«
    »Auch die Sirenen waren schön. Hör zu: was weißt du über dein Unbewußtes?«
    »Nichts, ich weiß nicht mal, ob es existiert.«
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    »Siehst du. Nun stell dir vor, so ein Wiener Spaßvogel hat sich, um seine Freunde zu unterhalten, aus Jux und Dollerei die ganze Geschichte mit dem Es und dem Ich und dem Über-Ich ausgedacht, und das mit dem Ödipus, und Träu-me, die er nie geträumt hat, und den kleinen Hans, den er nie gesehen hat... Na, und was ist dann passiert? Millionen von Menschen waren bereit, im Ernst neurotisch zu werden.
    Und Tausende anderer bereit, sie auszubeuten.«
    »Lia, du bist paranoisch.«
    »Ich? Du!«
    »Na gut, wir sind also paranoisch, aber eins mußt du uns wenigstens zugestehen: wir sind von einem real existierenden Text ausgegangen, von der Botschaft, die Ingolf in Provins gefunden hatte. Entschuldige, aber wenn du plötzlich vor einer geheimen Botschaft der Templer stehst, willst du sie doch entziffern. Kann sein, daß du dabei übertreibst, um dich über die Entzifferer von geheimen Botschaften lustig zu machen, aber die Botschaft selber, die war doch real.«
    »Also erst mal weißt du nur das, was euch dieser Ardenti erzählt hat, der nach deiner Beschreibung ein ganz besonders erlesener Armleuchter gewesen sein muß. Und dann würde ich diese Botschaft ja gerne mal sehen.«
    Kein Problem, ich hatte sie unter meinen Papieren.
    Lia nahm das Blatt, besah es von vorn und von hinten, zog die Nase kraus, schob sich die Mähne vor den Augen weg, um den ersten Teil, den chiffrierten, besser sehen zu können.
    Und sagte dann: »Ist das alles?«
    »Genügt dir das nicht?«
    »Genügt mir vollauf. Gib mir zwei Tage, um darüber nachzudenken.« Wenn Lia mich um zwei Tage zum Nachdenken bittet, ist es gewöhnlich, um mir zu beweisen, daß ich dumm bin. Ich werfe ihr das immer vor, und sie antwortet immer:
    »Wenn ich kapiere, daß du dumm bist, bin ich sicher, daß ich dich wirklich liebe. Ich liebe dich auch, wenn du dumm bist.
    Beruhigt dich das nicht?«
    Zwei Tage lang berührten wir das Thema nicht mehr, au-
    ßerdem war sie die meiste Zeit nicht zu Hause. Abends sah ich sie in einer Ecke hocken und sich Notizen machen, ein Blatt nach dem andern zerreißend.
    Dann fuhren wir in die Berge, das Kind kroch den ganzen Nachmittag auf der Wiese herum, Lia kochte zu Abend und 637
    sagte, ich sollte essen, ich sei dünn wie ein Nagel. Nach dem Essen bat sie mich um einen doppelten Whisky mit viel Eis und wenig Soda, zündete sich eine Zigarette an, was sie nur in wichtigen Momenten tut, sagte, ich solle mich setzen, und erklärte:
    »Paß auf, Pim, ich werde dir zeigen, daß die einfachsten Erklärungen immer die wahrsten sind. Dieser euer Oberst hat euch gesagt, daß dieser Ingolf eine Botschaft in Provins gefunden hatte, und das will ich gar nicht in Zweifel ziehen.
    Ingolf

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