Das Foucaultsche Pendel
benutzte — eins, das wie ein Delta aussieht, und ein anderes wie ein Theta, eine Art links ange-knabberter Kreis. Kritzel das eilig hin, als kleiner Händler, der sich Notizen macht, und schon kann es so ein Eiferer wie dein Oberst mit einem a verwechseln, weil er die Sache mit den 120 Jahren schon irgendwo gelesen hat, du weißt besser als ich, daß er sie in jeder beliebigen Rosenkreuzergeschichte lesen konnte, er wollte etwas finden, das so ähnlich klang wie post 120 annos patebo! Und was macht er dann? Er findet eine Reihe von it und liest sie als iterum. Aber iterum wurde mit itm abgekürzt, und it bedeutete item, desgleichen, ebenso, ein Ausdruck, der speziell für repetitive Listen benutzt wurde. Unser Händler kalkuliert, was ihm bestimmte Aufträge einbringen werden, die er bekommen hat, und listet auf, was er wohin liefern muß. Er muß Rosen liefern, Kreuzritter-Rosen von Provins, das ist es, was r... s... Chevaliers de Pruins heißt. Und da, wo der Oberst vainjance gelesen hat (weil ihm der Ritter Kadosch im Kopf herumspukte), muß man jonchée lesen, Blumenschmuck. Die Rosen wurden benutzt, um Kränze oder Teppiche daraus zu flechten, für die verschiedenen Feste. Und so ist deine Botschaft aus Provins nun zu lesen:
640
In der Rue Saint-Jean
36 pro Karren Heu.
6 neue Tücher mit Siegel
in die Straße der Weißen Mäntel.
Kreuzritter-Rosen von Provins für den Blumenschmuck: 6 Sträuße zu 6 an 6 Orte:
Jeder zu 20 Denier, macht 120 Denier.
Dies ist die Reihenfolge:
die ersten zur Burg
item die zweiten zu denen an der Porte-aux-Pains item zur Kirche des Refugiums
item zur Kirche Notre-Dame jenseits des Flusses item zum alten Haus der Ketzer
item zur Straße des Runden Steins
Und 3 Sträuße zu 6 vor dem Fest in die Straße der Huren denn auch diese Armen wollten sich zum Fest gern ein schö-
nes Rosenhütchen machen.«
»Mein Gott«, sagte ich, »mir scheint, du hast recht.«
»Klar hab ich recht. Das ist eine Wäscheliste, ich wiederhole es dir.«
»Moment mal. Dies hier mag ja noch eine Wäscheliste sein, aber das oben ist eine chiffrierte Botschaft, die von sechsunddreißig Unsichtbaren spricht.«
»In der Tat. Den französischen Text hatte ich nach einer Stunde raus, aber der andere hat mich zwei ganze Tage gekostet. Ich hab den Trithemius studieren müssen, erst in der Ambrosiana und dann in der Trivulziana, und du weißt ja, wie diese Bibliothekare sind, bevor sie dir ein altes Buch in die Hand geben, sehen sie dich an, als ob du es auffressen wolltest. Aber die Sache ist ganz einfach. Zuerst mal, und darauf hättest du auch selbst kommen können: bist du sicher, daß les 36 inuisibles separez en six bandes dasselbe Französisch ist wie das unseres Händlers? Tatsächlich habt ja auch ihr gemerkt, daß es sich um eine Formel handelt, die in einem Pamphlet aus dem siebzehnten Jahrhundert benutzt wird, als die Rosenkreuzer in Paris aufgetaucht sind. Aber ihr habt wie eure Diaboliker argumentiert: Wenn die Botschaft nach der Methode von Trithemius chiffriert worden ist, muß Trithemius von den Templern abgeschrieben haben, und da die Botschaft einen Satz zitiert, der in den Krei-641
sen der Rosenkreuzer umging, muß der Plan, der bisher den Rosenkreuzern zugeschrieben wurde, in Wahrheit schon der Plan der Templer gewesen sein. Aber versuch mal, die Argumentation umzudrehen, wie es jeder halbwegs vernünftige Mensch tun würde: Da die Botschaft mit der Trithemius-Methode chiffriert worden ist, muß sie nach Trithemius geschrieben worden sein, und da sie eine Formel zitiert, die im Jahrhundert der Rosenkreuzer aufgekommen ist, muß sie danach geschrieben worden sein. Was ist nun die ökonomischste Hypothese? Ingolf findet die Botschaft von Provins, und da er wie der Oberst ein Hermetic-Mystery-Freak ist, braucht er bloß 36 und 120 zu lesen und denkt sofort an die Rosenkreuzer. Und da er auch ein Kryptographie-Freak ist, vergnügt er sich damit, die Botschaft in Geheimschrift zu resümieren. Er setzt sich hin und chiffriert seine schöne rosenkreuzerische Formel nach einem Chiffriersystem von Trithemius.«
»Ingeniöse Erklärung. Aber sie taugt soviel wie die Konjektur von Ardenti.«
»Bis hierher, ja. Aber nun stell dir vor, du machst mehr als nur eine Konjektur, und alle zusammen stützen sich gegenseitig. Dann bist du doch schon viel sicherer, daß du richtig geraten hast, oder? Ich bin von einem Verdacht ausgegangen. Die Wörter, die Ingolf hier zum Chiffrieren benutzt hat,
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