Das Foucaultsche Pendel
wird in den Keller runtergestiegen sein und dort wirklich ein Etui mit diesem Text hier gefunden haben.« Sie klopfte mit den Fingern auf das Blatt mit den altfranzösischen Zeilen. »Aber niemand sagt uns, daß Ingolf ein dia-mantenbesetztes Etui gefunden hat. Das einzige, was euch der Oberst erzählt hat, ist, daß in Ingolfs Kontobuch stand, er hätte ein Etui verkauft — und warum auch nicht, es war eine Antiquität, ein bißchen was wird er schon dafür gekriegt haben, aber niemand sagt uns, daß er von dem Erlös dann gelebt hat. Er hatte vielleicht eine kleine Erbschaft von seinem Vater.«
»Und warum muß das Etui unbedingt ein billiges Etui gewesen sein?«
»Weil diese famose Botschaft hier eine Wäscheliste ist.
Komm, lesen wir sie noch mal.«
a la... Saint Jean
36 p charrete de fein
6 entiers avec saiel
p... les blancs mantiax
r... s... chevaliers de Pruins pour la... j. nc.
6 foiz 6 en 6 places
chascune foiz 20 a.... 120 a....
iceste est l’ordonation
al donjon li premiers
it li secunz joste iceus qui... pans
it al refuge
it a Nostre Dame de l’altre part de l’iau
it a l’hostel des popelicans
it a la pierre
3 foiz 6 avant la feste... la Grant Pute.
638
»Na und?«
»Ja Himmelherrgott, ist es euch nie in den Sinn gekommen, euch mal einen Touristenführer von diesem Provins anzusehen, einen kurzen Abriß seiner Geschichte? Ihr hättet sofort entdeckt, daß die Grange-aux-Dîmes, wo diese Botschaft gefunden wurde, ein Ort war, wo die Händler sich trafen, denn Provins war damals das Handelszentrum der Champagne. Und die Orange befindet sich in der Rue Saint-Jean. In Provins wurde mit allem möglichen gehandelt, aber besonders mit Tuchen, auf französisch draps oder dras, wie man damals schrieb, und jedes Tuch war mit einer Garantie-marke versehen, oft mit einem Siegel. Das zweite Paradepro-dukt von Provins waren Rosen, rote Rosen, die die Kreuzritter aus Syrien mitgebracht hatten. So berühmt, daß Edmond of Lancaster, als er die Blanche d’Artois heiratete und auch den Titel des Grafen von Champagne annahm, die rote Rose von Provins in sein Wappen setzte — und das ist der Grund, warum man später vom Krieg der zwei Rosen sprach, denn die Yorks hatten eine weiße Rose im Wappen.«
»Und woher weißt du das?«
»Aus einem Büchlein von knapp zweihundert Seiten, herausgegeben vom Bureau de Tourisme de la Ville de Provins, das ich hier im französischen Kulturinstitut gefunden habe.
Aber das ist noch nicht alles. In Provins gibt es eine Burg, die Le Donjon genannt wird, es gibt eine Porte-aux-Pains, also ein
»Tor zu den Broten«, es gab eine Eglise du Refuge, es gab selbstverständlich mehrere Kirchen Unserer Lieben Frau, hüben und drüben, es gab oder gibt immer noch eine Rue de la Pierre Ronde, wo ein pierre de cens war, ein »Zinsstein«, auf den die Untertanen des Grafen das Geld für den Zehnten zu legen hatten. Und es gab schließlich auch eine Rue des Blancs Manteaux und eine Straße, die Rue de la Grande Putte Muce genannt wurde, aus Gründen, die ich dich raten lasse, beziehungsweise weil sie die Bordellstraße war.«
»Und die Popelicans?«
»In Provins hatte es Katharer gegeben, die dann ordnungs-gemäß verbrannt worden sind, und der Großinquisitor war ein reuiger Ketzer und wurde Robert le Bougre genannt.
Also war’s nichts Besonderes, wenn es da auch eine Straße oder eine Gegend gab, die weiterhin als Sitz der Ketzer bezeichnet wurde, auch als es die Katharer nicht mehr gab.«
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»Auch noch 1344...«
»Wer sagt dir denn, daß dieses Dokument von 1344
stammt? Dein Oberst hat hier 36 Jahre nach dem Heuwagen gelesen, und tatsächlich war damals ein p , das in einer bestimmten Weise gemacht war, mit einer Art Apostroph, die normale Abkürzung für post, aber ein anderes p ohne Apostroph bedeutete pro . Der Verfasser dieses Textes ist ein friedlicher Händler, der sich ein paar Notizen gemacht hat über seine Geschäfte in der Grange-aux-Dîmes, also in der Rue Saint-Jean, nicht in der Johannisnachtnacht, und er hat sich einen Preis notiert: sechsunddreißig Sous oder Deniers oder was für Münzen die damals hatten, für eine oder für jede Fuhre Heu.«
»Und die hundertzwanzig Jahre?«
»Wer spricht von Jahren? Ingolf hat etwas gesehen, das er als 120 a... abgeschrieben hat. Wer sagt dir, daß es ein a war?
Ich habe nachgeschaut in einer Tabelle der damals üblieben Abkürzungen und hab gefunden, daß man für denier oder denarius seltsame Zeichen
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