Das Foucaultsche Pendel
hereinfallen sollte. Ich sah also Jacopo nicht vor mir pendeln, aber ich glaube, daß dies die Figur war, die er im Raum beschrieb...
Sein Kopf erschien wie eine zweite Kugel, eingefügt am Seil des Pendels zwischen Basis und Aufhängepunkt, und wenn die metallene Kugel nach rechts strebte, neigte sich Belbos Kopf — die andere Kugel — nach links, und umgekehrt. Lange gingen die beiden Kugeln auf diese Weise in entgegengesetzte Richtungen, so daß die Figur, die das Pendel in den Raum säbelte, nicht mehr eine Gerade war, sondern ein dreieckiges Gebilde. Doch während Belbos Kopf dem Zug des gespannten Seils folgte, zeichnete sein Leib —
vielleicht zuerst noch im letzten Zucken, dann mit der spastischen Behendigkeit einer hölzernen Marionette — andere Bögen ins Leere, unabhängig vom Kopf, vom Seil und von der Kugel am unteren Ende, die Arme da, die Beine dort —, und mir war, als würde, hätte jemand die Szene mit einer Muybrigde-Kamera photographiert, so daß jeder Augenblick als eine räumliche Folge von Positionen auf den Film gebannt worden wäre — also die beiden äußersten Punkte, an 711
denen der Kopf sich bei jeder Schwingung befand, die beiden Punkte des Stillstands der Kugel, die ideellen Schnittpunkte der beiden Seile des Kopfes und der Kugel, beide unabhängig voneinander, und die Punkte dazwischen, markiert von den Enden der Schwingungsebene des Rumpfes und der Beine —, dann hätte, so schien mir, der am Pendel erhenkte Jacopo Belbo den Sefiroth-Baum ins Leere gezeichnet, hätte mithin in seinem letzten Moment die Geschichte sämtlicher Universen resümiert, hätte in seinem Schwingen und Pendeln die zehn Etappen des Ausströmens und Sich-Entleerens der Gottheit in die Welt festgehalten.
Dann, während der Mandrake fortfuhr, diese Totenschau-kel in Gang zu halten, kam durch ein schauriges Zusammen-spiel von Kräften, eine Wanderung von Energien, Belbos Leib zum Stillstand. Er hörte auf zu pendeln, das Seil mit der metallenen Kugel pendelte nur noch unter ihm, während er selbst und der Rest des Seils bis hinauf zum Schlußstein reglos verharrten. So war Belbo, dem Irrtum der Welt und ihrer Bewegung entronnen, nun selbst zum Aufhängepunkt geworden, zum Fixpunkt im Universum, dem Ort, an dem das Gewölbe der Welt sich festhält, und nur unter seinen Füßen schwang die Kugel weiter von einem Pol zum andern, friedlos, während die Erde sich unter ihm wegdrehte, immer neue Kontinente vorweisend — und weder wußte die Kugel zu zeigen, noch würde sie je zu zeigen wissen, wo sich der Nabel der Welt befand.
Während die Meute der Diaboliker, einen Moment lang erstarrt vor dem Wunder, erneut zu lärmen begann, sagte ich mir, daß die Geschichte nun wirklich zu Ende war. Wenn Hod die Sefirah der Größe ist, hatte Belbo seine Größe gehabt. Eine einzige unerschrockene Geste hatte ihn mit dem Absoluten versöhnt.
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Das ideale Pendel besteht aus einem extrem dün-
nen Faden, der sich keiner Flexion oder Torsion widersetzt, von einer Länge L, an dessen Baryzentrum eine Masse befestigt ist. Für die Kugel ist das Baryzentrum der Mittelpunkt, für einen
menschlichen Körper ist es ein Punkt auf 0,65
seiner Höhe, gemessen von den Füßen aufwärts.
Wenn der Gehenkte 1,70 m groß ist, liegt das
Baryzentrum 1,10 m über seinen Fußsohlen, und
die Länge L enthält diese Höhe. Mit anderen
Worten, wenn der Kopf vom Scheitel bis zum
Hals 0,30 m lang ist, liegt das Baryzentrum auf der Höhe 1,70 - 1,10 = 0,60 m unterhalb des Kopfes und 0,60 - 0,30 = 0,30 m unterhalb des Halses des Gehenkten.
Die Periode kleiner Schwingungen des Pendels,
wie sie Huygens bestimmt hat, ist gegeben
durch:
T (Sekunden) = 2ð/ √g * √L
(1)
wobei L in Metern gemessen ist, ð = 3,1415927...
und g = 9,8 m/sec2 ist. Daraus ergibt sich für die Gleichung (1):
T= 2 * 3,1415927 / √9,8 * √L = 2,00709 * √L
also annähernd: T = 2 √L
(2)
Notabene: T ist unabhängig vom Gewicht des
Gehenkten (Gleichheit aller Menschen vor
Gott)...
Bei einem doppelten Pendel mit zwei Massen am
selben Faden:... Verlagert man A, so schwingt A noch ein Weilchen und bleibt dann stehen, und
es schwingt B. Haben die gekoppelten Pendel
verschiedene Massen oder Längen, so schwingt
die Energie vom einen zum andern, aber die Zei-
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ten dieser Energieschwingungen sind nicht
gleich... Dieses Hin- und Herpendeln der Ener-
gie erfolgt auch dann, wenn man A, statt es frei schwingen zu lassen, nachdem man es
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