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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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mit Würde bestanden. Ich war ein Mann, den sie Pferd nannten.
    Damals gab es in *** auch teutonische Recken, nicht sehr wach-same, denn die Partisanen hatten sich noch nicht bemerkbar gemacht — es war so gegen Ende 43 oder Anfang 44. Eine unserer ersten Unternehmungen war, uns in eine Baracke einzuschleichen, während draußen ein paar Genossen den Wachposten um-schmeichelten, so einen blonden Langobarden, der ein enormes Brötchen verzehrte, mit — so schien uns, und wir erschauerten —
    Salami und Marmelade. Der Störtrupp bezirzte den Deutschen, indem er seine Waffen lobte, und wir andern in der Baracke (in die man von hinten eindringen konnte) raubten derweilen einige Brötchen mit Sprengstoff. Ich glaube nicht, daß der Sprengstoff je benutzt worden ist, aber in Martinettis Plänen ging es darum, ihn draußen auf dem Feld hochgehen zu lassen, zu pyrotechnischen Zwecken und, wie ich heute weiß, mit sehr primitiven, inadäqua-ten Methoden. Später folgten dann auf die Deutschen die italienischen Partisanenbekämpfer der Decima Mas (sie waren hart, die faschistischen Ledernacken, aber nicht so brutal wie die Schwarzen Brigaden, die auch Kriminelle aus den Gefängnissen rekrutier-ten und skrupellos gegen die Zivilbevölkerung vorgingen). Sie hatten einen Kontrollposten unten am Fluß eingerichtet, genau an der Kreuzung, wo abends um sechs die Schülerinnen aus dem Internat Maria Ausiliatrice herunterkamen. Nun ging es darum, die Burschen von der Decima (die kaum älter als achtzehn sein konnten) zu überreden, ein paar deutsche Handgranaten zu bündeln, 137
    solche mit langem Stiel, und sie dann so zu werfen, daß sie auf dem Wasser explodierten, genau in dem Moment, wenn die Mädchen kamen. Martinetti wußte präzis, was zu tun war und wie man die Zeiten kalkulierte. Er erklärte es den Schwarzhemden, und der Effekt war enorm: eine Fontäne schoß hoch aus dem Bachbett mit Donnergetöse, genau als die Mädchen um die Ecke bogen. Allgemeine Flucht mit großem Gekreische, und wir und die Schwarzhemden lachten uns tot. An jene glorreichen Tage hätten sich —
    nach dem Feuertod von Molay — noch die Überlebenden von Salò erinnert.
    Hauptsport der Viottolos war, Patronenhülsen und andere Kriegsüberbleibsel zu sammeln, woran nach dem 8. September kein Mangel war, zum Beispiel alte Stahlhelme, Patronengürtel und Proviantbeutel, manchmal auch noch intakte Patronen. Um eine intakte Patrone zu benutzen, ging man so vor: man nahm sie vorsichtig in die Hand, führte sie in ein Türschloß ein und drehte sie fest; dann ließ das Geschoß sich herausschrauben und kam in die Spezialsammlung. Die Hülse wurde vom Pulver entleert (manchmal enthielt sie auch ein Material in Form dünner Schnü-
    re), das dann in Serpentinen ausgelegt und abgebrannt wurde. Die Hülse, die um so mehr galt, wenn die Kapsel noch intakt war, kam als Neuzugang in die Armee. Ein guter Sammler hatte viele davon, die er wie Zinnsoldaten aufstellte, sortiert nach Fabrikat, Farbe, Form und Größe. Da gab es die einfachen Fußsoldaten — die Hülsen der italienischen MP und der englischen Sten —, dann die Bannerträger und Ritter — Moschetto-Karabiner, Sturmgewehr 91
    (das Garand sahen wir erst bei den Amerikanern) — und schließ-
    lich, die begehrteste Trophäe, als hochaufragende Großmeister die MG-Hülsen.
    Während wir uns diesen Friedensspielen hingaben, eröffnete Martinetti uns eines Tages, daß der Moment gekommen sei. Die Duellforderung sei der Canalettobande zugestellt worden, und sie habe den Fehdehandschuh aufgenommen. Der Kampf werde auf neutralem Boden stattfinden, hinterm Bahnhof. Heute abend um neun.
    Es war ein sommerlicher Spätnachmittag, schwülwarm und voller Erregung. Jeder von uns rüstete sich mit den fürchterlichsten Paraphernalien, schnitzte sich Knüppel, die gut in der Hand lagen, füllte sich die Patronen- und Provianttaschen mit Steinen in verschiedener Größe. Einer hatte sich aus dem Riemen eines Karabiners eine Peitsche gemacht, eine schreckliche Waffe, wenn sie 138
    entschlossen gehandhabt wurde. Zumindest in jenen Abendstun-den fühlten wir uns allesamt als Helden, ich besonders. Es war die Erregung vor dem Angriff, stechend, schmerzlich, wunderbar —
    leb wohl, meine Schöne, leb wohl, hart und süß ist das Los des Kriegers, wir schickten uns an, unsere Jugend zu opfern, wie man es uns vor dem 8. September in der Schule gelehrt hatte.
    Martinettis Plan war raffiniert ausgedacht: wir würden den Bahn-damm

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